Die Ecstasy-Affäre
Polen. Dabei ist nicht berücksichtigt, wie viele Straftaten auf das Konto russischer und asiatischer Mafia-Banden gehen wie etwa die chinesischen Triaden oder die Vietnamesen, da wir hier völlig im dunkeln tappen. Informationen sind fast nie zu bekommen; die Angst lähmt alle Zungen. Was ein Verräter zu erwarten hat, braucht nicht geschildert zu werden. Trotzdem gab es in diesem Jahr 128 Kronzeugen, die von der Polizei eine neue Identität und Personenschutz erhielten. Nur durch sie konnten wir einige wenige Türen aufstoßen. V-Männer oder verdeckte Ermittler in asiatische Kreise einzuschleusen, ist fast unmöglich. Außerdem hat die internationale Mafia sich eine undurchschaubare Maske zugelegt: Immer häufiger werden Straftaten über normale Firmen abgewickelt. Über Restaurants, Handelsfirmen, Computervertriebe, Immobilienhändler, Billigjuweliere, Friseure, ja, sogar Bäckereien und Gemüsehändler. Da blickt keiner mehr durch. Das BKA sagt dazu: ›Legale Geschäftsstrukturen bieten grundsätzlich eine ideale Basis für illegale Geschäfte.‹ Ich lese in Ihren Augen, meine Damen und Herren, die Frage: Ja, was nun? Ich frage mich schon seit Jahren: Ja, was nun? Warum dämmert die Polizei angeblich, wenn man den Medien glauben kann, im Halbschlaf dahin? Es gibt darauf nur eine Antwort: Weil man der Polizei immer und immer wieder in den Rücken fällt, weil wir Polizisten zu den Parias des Staates geworden sind. Uns engen Gesetze und Verordnungen ein, die ein zielbewußtes Durchgreifen verhindern. Es ist allein die Angst der Politiker, man könne in der Welt wieder sagen: Deutschland, der Polizeistaat! Und so wird Deutschland zum Eldorado, zum Goldenen Land der organisierten Kriminalität. Wir sind für die Gangster zu lächerlichen Figuren geworden.« Reiber holte tief Atem. »Ich werde Ihnen nachher einige Beispiele vorführen, die dazu anregen, an einer effektiven Justiz in Deutschland zu zweifeln. Ein großer Teil der Bürger tut das bereits!«
Im Saal breitete sich verhaltene Unruhe aus. Gemurmelter Protest der Landtagsabgeordneten, zustimmendes Zischen der Kriminalbeamten. Der Polizeipräsident nickte seinem mutigen Hauptkommissar zu. Der Chef des LKA lehnte sich zufrieden zurück. Auch wenn er sich jetzt um Kopf und Kragen redet … bravo, Junge! Nenn das Kind beim Namen. Wenn morgen die Presse über diesen Vortrag berichtet, sollen den Herren in Bonn die Kragen eng werden.
Der Oberbürgermeister von München hatte die Hände über seinen Knien gefaltet. Er kannte die Stimmung des Volkes am besten von allen Anwesenden und mußte Reiber recht geben, wenn auch manches, was noch zur Sprache kommen würde, den Spitzen seiner Partei zur Last gelegt werden konnte. Dazu gehörte der Große Lauschangriff, gegen den sich die Partei vehement wehrte, weil man eben Opposition zeigen wollte.
»Ein Problem, das vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten werden soll, hat das BKA in einem internen Papier aufgeschlüsselt«, fuhr Reiber fort. »Es ist das traurige Kapitel der deutschen Beamten-Kriminalität. Immer mehr Straftaten werden von deutschen Beamten verübt. Das BKA listet in diesem Jahr insgesamt 8.500 kriminelle Tätigkeiten unserer Staatsdiener auf. Das sind 1.300 mehr als im vergangenen Jahr. Ein erschreckender Zuwachs. Die Delikte gliedern sich wie folgt auf: Bestechungen, Rechtsbeugung, Körperverletzung, Verfolgung von Unschuldigen, Raubüberfall mit der Waffe – erst kürzlich wurde ein Tankstellenräuber als Polizist erkannt – und vor allem Fahndungsvereitelung bei Mafia-Verbrechen. Hinzu kommen die sonstigen Deliktes die mit 5.600 angegeben werden, um die Hälfte mehr als im Vorjahr. Darunter fallen vor allem Erpressung von Aussagen, Falschbeurkundungen, Korruption, Ermittlungsweitergaben und Strafvereitelungen. Sie werden nun sagen: Da steht einer, der das eigene Nest beschmutzt. Nein, auch das muß gesagt werden, um die Situation der Polizei zu erklären. Denn diese Kriminalität in den eigenen Reihen führt unsere Arbeit manchmal ins Absurde. Gehen wir wieder zurück nach Berlin. Bitte kein triumphierendes Lächeln – auf München komme ich noch zu sprechen. Also Berlin: Die Ermittlungsgruppe ›Rumänien‹ observiert wochenlang das als Hochburg der Rumänen-Gang festgestellte ›Objekt Otawistraße‹ in Berlin-Wedding. Am 11. Mai, einem Samstag, um 16.30 Uhr, stürmt eine Sondertruppe der Kripo das Gebäude. Die SEK-Männer, gut geschützt mit schußsicheren Westen, Helmen und MPs,
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