Die Ecstasy-Affäre
viele andere … Er zwängte sich nicht in alte verrottete Fischerboote, die später auf offener See, vor allem im Südchinesischen Meer von Piraten überfallen, ausgeraubt und deren Besatzung getötet wurden. Er hatte sein eigenes Motorboot, kaufte auf dem Schwarzmarkt soviel Benzin, wie er haben konnte, belud das Boot mit Konserven, Wasserballons, einem amerikanischen Schnellfeuergewehr, genügend Munition, Reissäcken, einem Propangas-Kocher, Töpfen und Pfannen und verließ seine Heimat. Für immer – das war ihm klar.
Nungjei nahm er mit, um ihr das Schicksal einer Vietkong-Hure zu ersparen. Schließlich hatte sie wesentlich dazu beigetragen, daß sie gemeinsam einen bescheidenen Wohlstand erreicht hatten. Aber nach drei Tagen auf dem Südchinesischen Meer, als Son am Horizont die Aufbauten eines großen Frachtschiffes erkennen konnte und damit die Gewißheit erlangte, daß er gerettet werden würde, sagte er zu Nungjei:
»Ich habe mir überlegt, Nungjei, daß leben auch immer opfern heißt. Man muß etwas verlassen können, um Neues zu erringen. Und das Neue ist in Sicht.«
Als er das sagte, standen sie an der Bordwand. Son streichelte Nungjeis ovales Gesicht mit den großen tiefbraunen Augen, küßte sie auf die Stirn, gab ihr dann einen kräftigen Stoß vor die Brust und ließ sie über Bord fallen.
Sie schrie auf, als sie in die Wellen klatschte, streckte die Arme nach ihm aus, aber er ging, ohne sich umzublicken, ins Ruderhaus, warf den Motorhebel herum und rauschte mit Vollgas davon.
Es wird schnell gehen, dachte er. Sie kann nicht schwimmen, und die Haie sind überall, gerade hier an der internationalen Schiffahrtslinie. Es tut mir leid, Nungjei, aber das Leben ist nun einmal hart. Wie sagte ich? Man muß opfern können …
Sons weiterer Weg vom Auffanglager für Vietnamflüchtlinge in Singapur bis nach Wolomin, einer kleinen Stadt nördlich von Warschau, blieb im dunkeln. Auch wie es möglich war, daß Hua Dinh Son in Wolomin eines Tages ein Sägewerk betrieb, blieb rätselhaft. Auf jeden Fall war er trotz seiner asiatischen Herkunft bei den traditionsbewußten Wolominer Bürgern beliebt. Er hatte eine Polin geheiratet, sprach ein leidliches Polnisch und war sogar zum katholischen Glauben übergetreten. Das rechnete man ihm besonders an, und wenn das Ehepaar Dinh sonntags in der Kirche saß, ruhte das Auge des Priesters wohlgefällig auf Son.
Ab und zu, vielleicht zweimal im Monat, mußte Son verreisen. »Neue Kunden werben«, sagte er dann immer. »Holz verkauft sich nicht von allein wie Brötchen oder Gurken, und die Konkurrenz ist groß. Wer weiß schon, wie mühsam es ist, zehn Festmeter gesägte Bretter zu verkaufen? Da muß man die Kunden streicheln, sonst sind die Teller leer.«
Er schien Erfolg zu haben. Wenn er von seinen Reisen zurückkam, brachte er immer Bargeld mit. Meistens Dollars, von denen er die Hälfte in Zloty eintauschte und die andere Hälfte in einem Stahltresor einschloß. Das brachte zwar keine Zinsen, aber das Leben ist – wie gesagt – hart, und man weiß nie, ob man nicht über Nacht eine neue Bleibe suchen muß. Da sind einige tausend Dollar ein gutes Polster, auf dem sich prächtig schlafen läßt.
Sons letzte Reise hatte ihn nach München geführt. Ein einfacher Auftrag war es gewesen, aber immerhin fünftausend Dollar wert. Der ›Kunde‹ hatte keine Mühe gemacht; als Son ihm die Stahlschlinge um den Hals warf und sofort zuzog, hatte der Mann nur kurz gezuckt, die Arme haltsuchend nach vorn geworfen, und war dann lautlos zusammengesackt. Son hatte ihn einfach neben einem Busch liegen lassen, war danach in ein bayerisches Bierlokal gegangen und hatte ein Glas Weißbier getrunken. Es war erfrischend und herb-würzig. So etwas gab es in Polen nicht.
Seine Auftraggeber kannte Son nicht; sie nahmen nur telefonisch Kontakt mit ihm auf. Aber sie redeten in der Sprache seiner Heimat, hielten ihr Wort, betrogen ihn nie, hinterlegten den Lohn seiner guten Arbeit meistens in einem Bahnschließfach, dessen Schlüssel sie in Sons Hotel schickten. Es waren immer kleine Hotels am Rande der Städte, die sich über jeden Gast freuten und ihre Zimmer auch stundenweise vermieteten. Hier brauchte Son sich in keinen Meldezettel einzutragen; er kam anonym, und er reiste anonym wieder ab, ein Mann, der keine Spuren hinterließ. Es gab ihn einfach nicht.
Zu Anfang hatte er sich gefragt, woher seine Landsleute seinen Namen und seine Adresse in Wolomin kannten, vor allem aber
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