Die Ecstasy-Affäre
sein Wagen stehe in der Neherstraße, gleich neben dem Stadion, aber wenn er sie trotzdem begleiten dürfte …
»Ich möchte eben so lange wie möglich mit Ihnen zusammen sein«, sagte er mit einem traurigen Ton. »Für mich war es ein einmaliger Abend.«
»Für mich auch.« Sie entzog ihm ihre Hand. »Deshalb sollten wir jetzt schnell auseinander gehen.«
Sie drehte sich um und ging die Straße hinunter bis zum Prinzregentenplatz. Robert blickte ihr nach, bis ihre Silhouette hinter den Bäumen verschwand. In seiner Erinnerung blieb ihr schwingendes gelbes Kleid zurück, der tänzelnde Schritt ihrer langen Beine und der Abdruck ihrer Hüften in dem weichen Stoff. Robert war ehrlich genug, sich einzugestehen, daß dieser Abend ein vermeidbarer Fehlschlag gewesen war. Sein Taschengeld war bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht, er hatte zwei Stunden mit einer erregend schönen älteren Frau zusammengesessen, ein Milchgesicht voller Hemmungen, das es gewagt hatte, einen Schritt über sich selbst hinauszugehen. Aber trotz allem blieb ein Glücksgefühl in Robert zurück, das er sich mit einem nüchternen »Ich hab's geschafft!« erklärte. Und ein großer Wunsch blieb auch zurück: Ich muß sie wiedersehen.
Er überquerte die Straße und schloß seinen Wagen auf. Er hatte seit neun Wochen einen Führerschein, und sein Vater hatte ihm ein Auto geschenkt. Eine ›Ente‹, wie sie im Volksmund hieß, schon acht Jahre alt, aber ganz gut gepflegt bis auf einige klappernde Teile an der Karosserie. Sein Vater meinte, mit diesem Auto könne er erst einmal Fahrpraxis erlangen, ehe man ein besseres Gefährt kaufte. Nach einem Jahr wäre man geübt genug für ein neues Modell. Robert hatte das eingesehen, wie er überhaupt alles akzeptierte, was sein Vater sagte.
Während er nach Hause fuhr, dachte er unentwegt an Ulrike Sperling. Sie war nicht verheiratet, das war geklärt. Kaum verständlich war, daß eine so schöne Frau allein lebte, denn auch das hatte sie im Lauf des Gesprächs preisgegeben. Mehr aber nicht.
Wer war diese Ulrike Sperling wirklich? Wovon lebte sie? Woher nahm sie die Zeit, in einem Schwimmbad herumzuliegen, wenn andere arbeiten mußten? Für Robert war etwas Geheimnisvolles um sie, obwohl es so einfach gewesen wäre, sie nach allem zu fragen. Beim nächsten Mal, redete er sich ein. Es gibt ein Wiedersehen. Daran glaubte er fest. Dann werde ich sie fragen: Wie ist Ihr Leben?
Zu Hause warteten schon Vater und Mutter auf ihn. Der Tisch war noch gedeckt.
»Du kommst spät vom Schwimmen«, sagte der Vater, ohne daß es tadelnd klang. Eher verwundert.
»Ich habe noch zwei Freunde getroffen, und wir haben ein Bier getrunken.«
»Ich habe dein Essen warm gestellt …«
»Ich habe keinen Hunger, Mama.« Robert suchte nach einem Grund, schnell auf sein Zimmer zu verschwinden. »Entschuldigt … ich muß noch einen lateinischen Text durchlesen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, mein Junge.«
Das Entfliehen war gelungen. In seinem Zimmer warf Robert sich auf das Bett, starrte an die Decke und sah wie auf einer großen Leinwand ein gelbes Kleid, tänzelnde Schritte und schwingende Hüften, die sich unter dem Stoff abzeichneten.
Und morgen muß ich Papa um mehr Taschengeld bitten, dachte er.
Die Familie Habicht war das Musterbeispiel für eine anständige, angesehene deutsche Familie.
Mit eisern erspartem Eigenkapital und dem Darlehen einer Beamten-Bausparkasse hatte Dr. Hubert Habicht sich im Münchner Vorort Pasing ein Haus gebaut. 165 Quadratmeter Wohnfläche, ausgebaute Kellerräume, ein als Atelier genutzter Dachgeschoßraum, in dem Hubert Habicht früher gemalt und getöpfert hatte und der jetzt zum Musikzimmer umfunktioniert war, in dem Roberts Flügel stand, ein japanischer Stutzflügel, denn einen Steinway konnte Hubert sich nicht leisten. Um das Haus erstreckte sich ein Garten von neunzig Quadratmetern. Das war zwar nicht viel, aber ein Garten mache Arbeit, hatte Habicht beim Kauf des Grundstücks gesagt. Statt umzugraben und Blätter zu fegen, lagen seine Freizeitbeschäftigungen eher im Malen und Töpfern, was ein Besucher überall im Hause bemerken konnte: Kunstvoll bemalte Tongefäße standen überall herum. Später dann, als Robert, der einzige Sohn, seine Klavierbegabung entdeckte, räumte Habicht klaglos sein Atelier und sammelte Briefmarken.
Dr. Hubert Habicht war Oberregierungsrat in der Bayerischen Landesregierung. Wenn man Frau Gerda Habicht, geborene Willkens, fragte, in welcher Abteilung
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