Die Ecstasy-Affäre
ihr Mann denn dem Staat diene, erfuhr man, daß sie es nicht wußte. Wozu auch? Ein Oberregierungsrat mit dem Doktortitel der Juristik genügte ihr. Wozu soll man wissen, wo der Arbeitsplatz des Gatten ist? Eben in der Regierung!
Gerda Habicht war das Urbild einer Ehefrau und Mutter schlechthin. Sie diente der Familie, die ihr Mittelpunkt und ihre Welt war. Die aufrührerische Welle der Emanzipation floß an ihr wirkungslos vorbei. Ihr war es unverständlich, wie einer Ehefrau und Mutter etwas anderes wichtiger sein konnte als ihre Familie. Frauliche Selbstverwirklichung – was sollte das bedeuten? Gerda Habicht hatte einen Mann und einen Sohn, ein Haus und einen Hund, einen dunkel geströmten Boxer, der auf den Namen Bambus hörte. Sie hatte ihren schönen Blumengarten und jedes Jahr zur Urlaubszeit eine Familienreise nach Norderney oder sogar einmal an die türkische Riviera bei Antalya. Was wollte sie mehr? Was konnte das Leben noch Erstrebenswertes bieten? Was sollte dieser ganze Unsinn von Emanzipation? Das Glück liegt in der stillen Gemeinschaft, nicht in dem aufgärenden Egoismus einzelner, sagte sie sich.
Gerdas große Leidenschaft war ihr Sohn Robert. Seine Geburt war eine Qual gewesen – nach vierzehn Stunden Wehen erlöste sie sein erster Schrei, und der Arzt sagte sichtlich erleichtert, es sei ein strammer Junge, der sich gewehrt hätte, auf die Welt zu kommen, aber dann doch nachgegeben habe. Für Dr. Hubert Habicht war Robert eine Art Kronprinz. Wenn er zu anderen über ihn sprach, sagte er nie ›Robert‹ oder ›mein Sohn‹, sondern immer nur ›mein Sohn Robert‹, als ziehe er etwas ganz Besonderes groß.
Oberregierungsrat Dr. Habicht war bei seinen Kollegen beliebt. Er fiel nicht auf. Er kletterte auf der Beamtenleiter ohne großen turnerischen Lärm höher, füllte seinen Posten aus und galt als parteitreu, was gerade in Bayern das solide Fundament für eine geradlinige Karriere war. So konnte also sein Sohn Robert in einem bürgerlichen Rosengarten aufwachsen, in dem alles blühte und alle widrigen Winde umgeleitet wurden. Die Entdeckung, daß Robert musikalisch begabt war, löste eine Art Enthusiasmus bei den Eltern aus, die im Kauf des japanischen Stutzflügels gipfelte. Roberts Klavierlehrerin bezeichnete den Jungen als ein großes Talent; er hätte das Zeug zum Solisten, zu einem Pianisten, dem einmal die Welt offenstand. Das hörte sich gut an, brachte aber etwas Unruhe in die Familie. Dr. Habichts Wunsch war es, aus seinem Sohn Robert einen Juristen zu machen, Mutter Gerda plädierte für eine Pianistenkarriere auf den internationalen Konzertbühnen.
Aber das waren heute noch Zukunftsträume. Zunächst stand das Abitur ins Haus, und hier konnte Dr. Habicht mit Stolz vermelden, daß sein Sohn Robert der zweitbeste Schüler der Klasse war. Er wäre der beste gewesen, wenn ihm nicht die Mathematik Schwierigkeiten bereitet hätte. Und wenn Robert fragte, warum er sich mit Sinus und Cosinus herumschlagen solle, wenn er das später nie im Leben gebrauchen könne, gab Dr. Habicht weise von sich, das gehöre zur gehobenen Allgemeinbildung. Und überhaupt stärke Mathematik das logische Denken, und das sei im Leben ungemein wichtig.
An diesem Abend nun lag Robert auf seinem Bett, erfüllt von einer ihm fremden Unruhe. Seine Gedanken beschworen das Bild dieser Ulrike Sperling herauf, und er begann, sie zu analysieren. Ihr Alter? Man könnte es auf Ende Zwanzig schätzen. Ihr Beruf? Da tappte man im dunkeln. Wo gab es einen Beruf mit viel Freizeit, vor allem am Nachmittag? Sie konnte Lehrerin sein. Ja, das war möglich. Ein Lehrer hat normalerweise nur am Vormittag Unterricht, bekommt die längsten Ferien, im Jahr etwa achtzig Tage. Aber Ulrike konnte auch selbständig sein, irgendeine künstlerische Tätigkeit oder einen Freiberuf ausüben, bei dem sie sich die Zeit nach Gutdünken einteilen konnte. Oder sie war die Tochter eines reichen Vaters, die ihr Leben zwischen Golf, Reiten, Modenschauen, Schwimmen und Friseurbesuchen verbrachte. Aber dann würde sie keinen Kleinwagen fahren, sondern irgendein Cabrio, das zu ihrer äußeren Erscheinung paßte.
Robert hatte sie angesprochen – dank des Balls, der auf sie geschossen worden war. Er war nach langer Zeit über seinen eigenen Schatten gesprungen. Er erinnerte sich, während er an die Decke starrte, an sein erstes Erlebnis mit einem Mädchen. Er war damals fünfzehn gewesen, und seine Mitschüler prahlten schon mit ›tollen Weibern‹
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