Die Edda - Die Edda
neuen Vorwürfen, den Göttinnen freilich wirft er stereotyp immer das gleiche vor, sie seien mannstoll. Erst als Thor dazukommt, zieht Loki ab:
Kann ein solches Lied, in dem alle Götter und Göttinnen in zuweilen außerordentlich grober Weise geschmäht werden, denn überhaupt in der Zeit des Heidentums entstanden sein, als man noch an diese Gottheiten glaubte? Viele halten das für unmöglich und nehmen deshalb an, die Lokasenna sei in christlicher Zeit entstanden und richte sich bewußt gegen die heidnischen Götter. Dies ist aber kaum ein Argument; Götterkomik, oft sehr drastischer Art, ist aus vielen Kulturen bekannt - man denke daran, wie Dionysos in Komödien des Aristophanes geschmäht wird, und das sogar, obgleich diese Komödien am Festtag des Gottes selber aufgeführt wurden. Die Spruchdichtung ist im Codex Regius vor allem durch ein großes Werk vertreten, die Hávamál, »Sprüche des Hohen«. 164 Strophen umfaßt das Gedicht da, und man kann leicht erkennen, daß es offensichtlich aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist. Aber was eigentlich alles zusammengehört und nach welchem Prinzip diese einzelnen - ihrerseits teilweise nur locker zusammenhängenden - Teile in ein Ganzes gefügt werden, das ist gerade in den letzten
Jahrzehnten recht umstritten. Genzmer hat - darin wohl wieder Heusler folgend - versucht, aus den Hávamál die vermeintlich ursprünglichen kleineren Gedichteinheiten herauszulösen, und jetzt findet man sie unter den Titeln »Das alte Sittengedicht«, »Die Lehren an Loddfafnir«, »Priameln«, »Odinsbeispiele«, »Die Runenlehren«, oder »Die Zauberlieder«. Die »Runenlehren« sowie »Das dritte Sittengedicht« enthalten auch Strophen aus Sigrdrífomál, dessen Hauptteil sich bei Genzmer unter den Heldengesängen, Nr. 40, »Die Erweckung der Walküre« findet.
Auch andere Textkategorien sind unter der Spruchdichtung zusammengefaßt; Nr. 28 (»Fluch der Busla«) und 29 (»Die Wölsistrophen«) erwecken den Eindruck, alte heidnische Kultdichtung zu sein, aber ob es wirklich so ist oder ob es sich um später nachempfundene Texte handelt, das mag hier offenbleiben. Dagegen ist der formelhafte Rechtstext Nr. 30, der »Urfehdebann« (Tryggðamál) gleich interessant als »amtlicher« Text zum Abschluß einer Friedensvereinbarung wie auch in seiner poetischen Aussage.
Besonders beachten sollte man auch Nr. 24, die »Heidreksrätsel« (Heiðreks gátur). In einer späten Vorzeitsage, der »Geschichte von Herwör und König Heidrek« (Hervarar saga ok Heiðreks konungs), sind mehrere poetische Texte verschiedener Art und unterschiedlichen Alters bewahrt (hier Nr. 24, Nr. 32, Nr. 54, 55 und 56). Zu ihnen gehören auch die Heidreksrätsel, die größte altnordische Rätseldichtung. Manche der Rätsel sind seit altersher in vielen Sprachen verbreitet, andere wohl für die Sammlung erst geschaffen worden.
4. Felix Genzmer und die Eddische Heldendichtung
Die Heldenlieder ordnet Genzmer nach ästhetischen Kriterien und - zumindest zu Beginn - nach ihrem mutmaßlichen Alter. Am Anfang stehen damit die Lieder, die gewöhnlich als besonders archaisch gelten: Nr. 31 das »Wölundlied« (Vo̧lundarksviða), Nr. 32 das »Hunnenschlachtlied« (Hl ǫ ðsksviða), Nr. 33 das »Alte Sigurdlied« (Brot of Sigurðarksviðu), Nr. 34 das »Alte Atlilied« (Atlaksiða) und Nr. 35 das »Alte Hamdirlied« (Hamðismál). Das »Hunnenschlachtlied« ist nur in der schon genannten »Sage von Herwör und König Heidrek« überliefert, die anderen Lieder finden sich alle im Codex Regius. Sie gehören aber verschiedenen Sagenkreisen an. Das »Wölundlied« enthält eine der altertümlichsten literarischen Versionen der Geschichte vom kunstfertigen Schmied Wölund (Wieland), und einige Namen deuten auf Zusammenhänge mit deutscher Dichtung. Das »Hunnenschlachtlied« hat Auseinandersetzungen zwischen Goten und Hunnen zu einem nicht näher zu fixierendem Zeitpunkt zum Inhalt. Die zwei nächsten Lieder gehören dem Sagenkreis um die Nibelungen und den Burgundenuntergang an, und das »Hamdirlied« berichtet von dem Ende des ostgotischen Königs Ermanarich - einer der großen, ursprünglich gotischen Sagenkreise, der in der deutschen Überlieferung nur in späten Zeugnissen sichtbar wird.
Im Codex Regius folgt die Anordnung der Heldenlieder dagegen ganz anderen Prinzipien. Dort beginnt der Heldenliedteil mit den drei »Helgiliedern« (unsere Nr. 49, 50 und 51), darauf folgen mehrere Lieder über Sigurd (unsere
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