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Die Edda - Die Edda

Titel: Die Edda - Die Edda Kostenlos Bücher Online Lesen
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auch und vor allem eine politische Entscheidung. Das Allthing des Jahres 999 oder 1000 bestimmte einen als besonders verständig geltenden Mann, einen Anhänger der heidnischen Partei, der allein für alle die Entscheidung treffen sollte, und er entschied für das Christentum. So brachte die Einführung des Christentums in Island keine tiefgreifenden Glaubenskämpfe mit sich, und die Kirche hatte keinen Anlaß, scharf gegen alte Vorstellungen vorzugehen. Dazu kam, daß es durch die neue Religion auch kaum gesellschaftliche Verschiebungen gab; die alten bedeutenden Familien büßten durch die Christianisierung kaum etwas von ihrer Macht ein, und nicht wenige Goden, die sich vorher vielleicht mehr schlecht als recht um den Vollzug der heidnischen Opfer gekümmert hatten, errichteten nun Kirchen bei ihrem Hof. Überdies wurde die schwierige traditionelle Kunst der Skaldendichtung nach wie vor gepflegt, und es dauerte nicht lange, bis sich die Skaldik auch christlichen religiösen Stoffen zuwandte. Eines der wichtigsten Kunstmittel der Skaldik sind die anfangs schon genannten Kenningar; das sind metaphorische Umschreibungen, die man nicht verstehen kann, wenn man nicht eine erhebliche Anzahl von Mythen und Heldensagen genau kennt. Solange in
Island die Skaldendichtung weiter gepflegt wurde, und das war noch fast drei Jahrhunderte der Fall, konnte auch die Kenntnis alter, auch heidnischer Mythen und Heldensagen nicht ganz verschwinden.
    Dies alles sind Faktoren, die zwar die Bewahrung älterer Überlieferungen und sogar deren Weiterentwicklung plausibel machen können, die aber nicht erklären, weshalb alte, mündlich tradierte Texte jetzt literarisiert und - mehr oder weniger verändert - schriftlich fixiert wurden. Ein solcher Vorgang beruht auf zwei Voraussetzungen, auf der Fähigkeit zu schreiben und auf der Kenntnis der alten traditionellen Texte. Viele Geistliche waren Isländer und gehörten selbst alten und traditionsreichen Familien an, die - so müssen wir annehmen - auch für die Bewahrung von älteren Überlieferungen besonders wichtig waren. Nicht wenige Isländer, ob Geistliche oder Laien, die der Kunst des Schreibens fähig waren, dürften deshalb auch mit alten traditionellen Stoffen vertraut gewesen sein. Dazu kam wohl noch ein für Island besonders glücklicher Umstand: In Island wurden in diesen ersten Jahrhunderten ausschließlich Benediktiner- und Augustinerklöster eingerichtet, wobei allem Anschein nach die Benediktinerklöster und vor allem das Kloster Thingeyrar (Þingeyrar) in Nordisland für die Entwicklung der Literatur besondere Bedeutung erlangten. Benediktiner beschäftigten sich auch auf dem Kontinent intensiv mit der Geschichte und den Wissenschaften auch vor dem Christentum; Vergil und Livius, Sallust und viele andere antike Autoren wurden von Benediktinern hochgeschätzt und fleißig gelesen. Benediktinisches Denken war offen auch für die Zeugnisse der Vergangenheit. Zwar ist es sicher, daß Mönche des Klosters Thingeyrar wichtig waren für die Entwicklung der Sagaliteratur, ob sie freilich in irgendeiner Weise die Niederschrift älterer Götter- und Heldenlieder unmittelbar beeinflußten,
das wissen wir nicht. Benediktinischer Geist äußerte sich aber wohl auch hier in einer grundsätzlichen Aufgeschlossenheit gegenüber der Vergangenheit und ihrer Literatur und bereitete so die Voraussetzung, daß sich Männer wie Snorri, aber vor ihm auch andere, uns nicht namentlich bekannte Isländer, mit Götter- und Heldenliedern und Spruchdichtungen beschäftigen und sie niederschreiben konnten. G. Lindblad hat jedenfalls gezeigt, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Codex Regius zwei getrennte schriftliche Sammlungen vorausgegangen sind, eine mit Heldenliedern, eine mit Götterliedern. Sie dürften zwischen 1210 und 1240, vielleicht noch etwas früher entstanden sein. Es gibt nach Lindblad sogar Hinweise darauf, daß einzelne Edda -Lieder schon um 1200 niedergeschrieben wurden.
    Dies sind Fragen und Ergebnisse der neueren Edda -Forschung, die Genzmer noch nicht bekannt sein konnten, die aber insbesondere für die Interpretation der Götterdichtungen große Bedeutung haben. Sehr oft wird man damit rechnen müssen, daß Lieder Spuren und Reflexe von christlichen Vorstellungen zeigen. Doch Lieder können sich im Laufe der Zeit auch wandeln und Merkmale verschiedener Zeiten annehmen; in vielen Fällen ist es deshalb gar nicht möglich, das Alter eines Edda -Liedes einigermaßen genau zu

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