Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
werden konnte. Also sterben. Auch mal ganz interessant, hat man ja nicht so oft im Leben. Engel? Teufel? Himmel oder Fegefeuer oder gar nichts? Irgendein Umtauschrecht, bei Nichtgefallen Leben zurück? Wirklich witzig. »So«, sagte Jonny und ich hörte ihn tief durchatmen. »Dann bringen wir die Sache mal hinter uns. Spät genug, wollen doch alle schlafen gehen. Oder, Moritz?«
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»Weißt du was geil wäre, Jonny?« »Öhm, wenn du endlich mal die Klappe halten würdest?«, fragte der zurück. Bernie kicherte das Lachen derjenigen, die einen Witz nicht verstanden haben. »Joar, auch, na logo. Aber noch geiler? Wenn wir uns den Moritz hier für heute Abend aufheben würden. Unser persönlicher Silvesterknaller, ne? Wir haben doch noch was Plastiksprengstoff im Kofferraum.«
Die Burschen begannen mich ernsthaft zu nerven. Ich stellte mir gerade vor, wie es sein musste, in der Sekunde vor dem Tod jenen Film des eigenen Le bens zu sehen, der unweigerlich vor dem inneren Auge abläuft. Sagt jeder, der schon einmal in tödlicher Gefahr gewesen war und mit dem Dasein abgeschlossen hatte. Die Highlights der eigenen Existenz und das alles dauerte nicht länger als die Werbeunterbrechung von »Wer wird Millionär?«, nein, noch nicht mal das. Welche Szenen würde der große Psychoregisseur für mich zusammenstellen? Wie wären sie geschnitten, wie dramaturgisch aufbereitet? Begänne es mit den Sekunden der ersten bewussten Erinnerung und verliefe dann chronologisch – oder wäre es mehr experimentell, wild durcheinander, psychedelisch wie anno 68, eher im Stil von Ingmar Bergmann, Alfred Hitchcock oder, das befürchtete ich, einer Episode von »Die Schwarzwaldklinik« zum Verwechseln ähnlich sehend?
»Nö«, sagte Jonny jetzt, »was sollen wir denn mit dem Kerl bis heute Nacht anfangen? In den Kofferraum mit dem Plastiksprengstoff sperren?« »Wäre doch auch nicht ungeil, dann könnten sich die beiden mal miteinander anfreunden.« Bernie lachte laut und kramte nach Zigaretten. »Willst eine, Moritz? Die letzte?« »Rauchen ist ungesund«, gab Jonny zu bedenken. »Da lebst statt zwei Minuten nur noch eine.« Bernie schüttelte sich vor Amüsement. »Mann, immer wieder cool so eine Hinrichtung. Aber nicht im Auto, das schmutzt doch so.« »Ist doch nur ein geklautes«, relativierte Jonny. »Ich steig doch hier nicht aus und mach mir die Schuhe dreckig. Kleines Loch in die Schläfe, Tür auf, Moritz raus und Abfahrt. Die Klamotten muss ich sowieso wegwerfen, die stinken nach Kneipe.«
Ja, die Kneipe. »Hast eigentlich was gefunden, Bernie?« Der nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und nickte, griff neben sich auf den Beifahrersitz und hob einen Gegenstand auf, der aussah wie ein dickes Fotoalbum. Sagte auch erwartungsgemäß: »Fotoalbum. Scharfe Aufnahmen« und Jonny: »Ok, später, legs mal so hin, dass nicht das Blut von unserem Moritz da ne Sauerei drauf macht.« Es waren professionelle Killer, das merkte ich, sie dachten wirklich an alles.
Immerhin: An einem 31. Dezember zu sterben, hatte einen entscheidenden Vorteil. Man konnte sich den Todestag leicht merken und das eventuelle Bedürfnis nach stillem Gedenken locker mit einer prima Party verbinden. Aber wer würde das schon tun? Hermine vielleicht, aber selbst das bezweifelte ich. Auf Dauer war das Dasein einer Witwe, die mit dem Ihrigen niemals verheiratet gewesen war, nicht befriedigend. Sie würde eine Zeitlang um mich trauern, um sich dann dem nächsten Abenteuer zu widmen. Das konnte ich ihr nicht verdenken, dennoch deprimierte es mich leicht.
»Sag mal«, meldete sich Bernie wieder zu Wort, »du nimmst aber schon den Schalldämpfer, ne? Letztes Mal hab ich ja fast nen Hörsturz gekriegt, als du im Auto einen gekillt hast.« Jonny grunzte. »Guck mal vorne im Handschuhfach liegt Ohropax. Steck dir die Dinger rein, das geht schon. Gib auch zwei für Moritz, der hört den Knall nämlich am lautesten.« Bernie verschluckte sich am Rauch seiner Zigarette. »Mensch, mach nicht so Witze, wenn ich grad rauche. Und leg endlich los, ich will nach Hause ins Bett.« Wieder grunzte Jonny. »Mach mal den Mund auf, Moritz, aber ganz langsam und keine Dummheiten.« Ich tat es wirklich und spürte sofort den kalten Stahl des Laufes an meinem Gaumen. »Dann tuts nicht so weh, Alter. Und guck mal, du kannst sogar sehen, wie ich den Finger krumm mache.« Er hatte Recht. Ich sah, wie er den Finger krumm machte.
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Das Leben müsste ein Kriminalroman sein. Dort
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