Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
Monate mit jener Sicherheit voraus, die nur dem Skeptiker eigen ist. Alles wird schlechter, die bösen Überraschungen werden sich mengenmäßig zu den angenehmen wie Wüstensand zu Goldstaub verhalten, die Reichen werden reicher und die Armen ärmer, die Gescheiten nicht unbedingt gescheiter, aber die Dummen garantiert noch dümmer, was ich mir nicht vorzustellen wagte.
So wurde es Mittag. Ich ging aus dem Haus, lief ohne mich umzuschauen Richtung Bahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte nach St. Malo und wieder zurück, verköstigte mich mit zwei frischen Brezeln und einer Salzstange, genoss den heiteren Himmel und die trockene Kälte, passierte noch einmal Sonja Webers Wohnung und die gegenüberliegende »Bauernschenke«, klingelte bei ersterer, niemand öffnete, wechselte die Straßenseite, lugte durch ein Fenster in die Kneipe, nichts bewegte sich. Vielleicht hatten die Schwestern den nächtlichen Einbruch nicht bemerkt, vielleicht doch.
Hermine empfing mich kühl, um nicht zu sagen verkatert. »Die Party is erst später, geh nach Hause, Moritz, Herminchen hat nen dicken Kopp.« Ich mach te ihn noch dicker, indem ich ihm erzählte, was mir letzte Nacht widerfahren war, dass ich eigentlich wie Abfall irgendwo im Wald herumliegen müsste. »Oh Scheiße«, fluchte Hermine und ließ mich endlich in die Wohnung. »Ich werf grad Aspirin ein, lass mir im Bad Wasser über die Rübe laufen, nimm dir Kaffee, sei ein braver Junge.«
Ich nahm mir Kaffee und war ein braver Junge. Als Hermine nach zehn Minuten die Küche betrat, immer noch im leider zugeknöpften Morgenmantel, wirkte sie nicht frischer als zehn Minuten zuvor, beteuerte aber: »So, jetzt geht’s mir besser. Also wie war das? Zwei Typen sind in die ‚Bauernschenke’ eingebrochen, haben dich erwischt und dann... armer Kerl! Was die wohl bei Helgalein und Monilein wollten?« Helgalein und Monilein? »Du warst nicht zufällig gestern Abend auch in der Kneipe?«, fragte ich und wusste die Antwort schon. »Ja klar«, lautete sie, »hab ich doch gesagt. Die Mädels waren natürlich gar nicht begeistert, die Sache an Weihnachten, weißt ja. Dass sie mich nicht rausgeschmissen haben, ich kann von Glück sagen. Aber dann hat sich diese Alte zu mir gesetzt, Irmi, kennst ja, ‚du musst dem Moritz seine sein’ – sag mal, was hast du der eigentlich von uns erzählt? Nee, lass ma, unwichtig jetzt, jedenfalls waren wir die einzigen Gäste, die Rentnerrunde hatte wohl keinen Ausgang gekriegt, und Irmi so: Lockert euch mal Mädels, setzt euch zu uns, ihr steckt in der Scheiße, das seh ich doch. Und die: Ja, kann man wohl sagen, komplett in der Scheiße, und dann haben sie sich gesetzt und wir haben gequatscht, drei Stunden oder so, die haben dann auch Schild an die Tür gehängt, GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT, und abgesperrt, aber Mensch, das eine sag ich dir: Eierlikör und Klare, Bier und Weißwein, das zusammen zu trinken gehört verboten. Aber bevor ich weiterrede, muss ich duschen, sorry.« Im Hinausgehen streifte sie den Bademantel ab, was ich für ein Zeichen hielt, aber auch hier war das alte Jahr wie das neue sein würde: Ich täuschte mich. Hermine verschwand im Bad, noch bevor ich reagieren konnte, ich hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde und setzte mich wieder.
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»Die Mädels sind in Ordnung!« Ganz dickes Ausrufezeichen aus dem entzückenden Herminenmund. »Der Lothar hat sie halt verführt, so und anders, tja, und das liebe Geld natürlich.« Womit wir wieder beim Thema waren. Ich erinnerte mich an Großmuschelbach und wie es aus der Zeit gefallen war. Ein ideales Experimentierfeld für die geldlose Gesellschaft.
»Hm.« Hermine dachte nach. »Gar nicht so dumm, mein kleiner Detektiv.« Ich liebte es, wenn sie so mit meinem besten Stück redete. »Obwohl ja jede Menge Kohle im Spiel war, könnte das wirklich sein. Die machen Großmuschelbach zu einer – wie nennt man das? – Sonderwirtschaftszone wie die Chinesen doch auch welche haben, da blüht dann der Kapitalismus und drumherum tragen sie noch ihre Mao-Kappen und schwenken da dieses kleine rote Buch. Und du meinst, das steckt die Regierung dahinter?«
Ich meinte gar nichts, ich traute nur jedem alles Schlechte dieser Welt zu. »Aber die Sisters sind sauber! Die wollen übrigens was Neues aufziehen in Großmuschelbach, Bergwerksdorf mit Museum und Führungen, Grabungswochenenden et cetera. Völlig legal mit EU-Knete und Irmi macht auch mit, die war ja wohl mal Lehrerin.«
Ich schaute ein wenig
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