Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
Gespräch und lässt en passant fallen, sie suche eine Wohnung in der Nähe. Äh...ja hier. Warte, ich lese vor.« Er räusperte sich.
» Frau Majakowski packte eine Dose Alleskleber in ihr Einkaufswägelchen und sagte ‚Na so was. Bei uns im Haus ist gerade eine Wohnung frei gewor den. Aber –’- ‚Aber?’ fragte ich vorsichtig, um den Fluss der Majakowskischen Rede wieder in Gang zu bringen.«
Marxer schnalzte mit der Zunge. »Fluss der Majakowskischen Rede. Du erkennst die literarische Anspielung?« Ich erkannte die literarische Anspielung nicht und nickte heftig. Marxer fuhr fort.
» Frau Majakowski nahm die Dose Alleskleber wieder aus dem Wägelchen und las das Kleingedruckte, was ihr nicht zu gefallen schien, denn sie stellte die Dose zurück zu ihren Artgenossinnen.«
Marxer schnalzte abermals mit der Zunge. »Diesen Satz zitiert der Krimikritiker Schlunz in seiner Rezension als Beispiel für eine quasi transhumanistische Grundideologie der Autorin und vice versa. Die Dose als Artgenossin, du verstehst?« Ich antwortete nicht und wartete, dass Marxer weiterlesen würde, was er auch endlich tat.
» ’Nun ja’, fuhr Frau Majakowski fort, ‚es gibt da ein Problem. Die Wohnung ist nur deshalb frei, weil der Mieter äh plötzlich verstorben ist.’ Ich erklärte ihr, das mache mir im Geringsten nichts aus, der Tod sei ein natürlicher Bestandteil des Lebens –«
» Schööön«, log ich und Marxer nickte bestätigend.
» - und ich hätte gelernt, ihn zu respektieren. Frau Majakowski nahm eine andere Sorte Alleskleber aus dem Regal und legte sie ins Wägelchen. ‚Ja schon, aber der arme Herr Winkelmann ist ermordet worden.’ ‚Oh je’ reagierte ich mit gespieltem Entsetzen, ‚das ist aber blöd.’ Frau Majakowski nahm auch diese Dose wieder aus dem Wägelchen, wog sie skeptisch in der Hand und stellte sie zurück. ‚Ja, der arme, arme Herr Winkelmann. Der hat doch keinem was getan! Er war langzeitarbeitslos, aber nicht so römisch, wie man heute sagt. Der hat zwischen Weihnachten und Neujahr bei den Leuten den Strom- und Wasserverbrauch abgelesen, wissen Sie, für die Jahresabrechnung der Stadtwerke.’«
Das war es! Ich sprang auf, umrundete den Tisch und hieb Marxer euphorisch auf die Schulter. Lothar hatte im Haus, in dem Sonja Weber wohnte, nur den Strom- und Wasserverbrauch abgelesen! Die beiden kannten sich gar nicht und hatten kein Verhältnis miteinander! Vielleicht musste Sonja diesem Lothar lediglich die Kellerräume öffnen, damit dieser seiner Tätigkeit nachgehen konnte!
Marxer lächelte. »Nun ja, es ist kein Meisterwerk der Gegenwartsliteratur, also halte dich mit deiner Begeisterung ein wenig zurück. Obwohl – so schlecht ist es auch wieder nicht. Wo nur Oxana mit dem fünften Whiskey bleibt?«
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Ich hatte keine Ahnung, ob meine durch die Kraft der Fiktion gewonnene Erkenntnis, der verstorbene Lothar Schmidt sei als Strom- und Wasse rableser unterwegs gewesen, in der schnöden Wirklichkeit bestehen konnte. Es war mir aber auch herzlich egal. Etwas anderes beschäftigte mich mehr, die unleugbare Tatsache meiner Trunkenheit nämlich, der siebte Whiskey war von Oxana (inzwischen in Emma-Peel-ähnlicher Lederbekleidung, garantiert ohne Unterwäsche) serviert worden, ein in Anbetracht meines bevorstehenden erotischen Abendessens mit Hermine gefährlicher Umstand. Da allerdings ein heftiger Fußmarsch von 30 Minuten auf mich wartete, vertraute ich auf die Ausnüchterungskräfte von sibirischer Kälte und innerstädtischer CO2-Belastung.
Marxer dachte nach. Mein Sketchvorschlag einer Talkshow, bei der nicht das Schweigen durch Reden, sondern das Reden durch Schweigen unterbrochen werden sollte, fand langsam seinen Gefallen. »Wir hängen über allen Teilnehmern mit Wasser gefüllte Eimer auf. Sobald einer zum Schweigen verdonnert wird, kippt der Eimer und nässt den Schweigenden. Ist natürlich Scheiße, aber hallo, wir reden hier über Unterschichtenfernsehen.«
Auch diese Feinheiten bürgerlicher Unterhaltung waren mir ziemlich gleichgültig. Ich verabschiedete mich von Marxer, der sich seinerseits nicht lumpen ließ und mir ein Honorar anbot, das handsignierte Exemplar von »Tote zahlen keine Kontoführungsgebühr« nämlich. Doch damit nicht genug. »Geh in die Küche und lass dir von Oxana ein Doggy-Bag zusammenstellen. Du hast es dir verdient.« Ich gab dem Dichter die schlaffe Hand und begab mich in die Küche.
Oxana war dabei, andächtig das Silber zu polieren. Sie
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