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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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dadaistisch oder so was. Den Gefallen taten sie mir nicht. Lydia saß unbeweglich, Honig stand unbeweglich, ich krümmte mich unbeweglich, und wir warteten auf den oder die unbekannten Gäste, deren Wagen vor nun mehr als fünf Minuten vor dem Haus abgestellt worden war.
    Honig flüsterte der Gebhardt leise etwas zu, so leise, dass ich es nicht verstand, Lydia sehr wohl, sie zischte es auch sehr leise aus wie die letzte Kerze auf der allerletzten Geburtstagstorte. Weitere fünf Minuten vergingen. Ich wusste endlich, was Stillstand bedeutet, richtig fieser Sehrstillstand, vollständige physische Unbeweglichkeit bei gleichzeitiger psychischer Polonaise, wenn ein abstruser Gedanke seinen Vordermann an der Schulter fasst und der ganze aufgepushte Zug durch die Dorfgaststätte des Kleinhirns schwoft.
    Toll, dachte ich, du bist ein Genie. So machen sie’s gerade in der Klimapolitik, in der Rentenpolitik, in der Bildungspolitik, in der Ausländerpolitik, überhaupt in der Politik, die einen sitzen und tun nichts, die anderen stehen und tun nichts, wieder andere kriegen gleich Krämpfe in den Extremitäten, müssen dringend aufs Klo und eine rauchen, aber sie tun auch nichts.
    Das Dumme: Auch das, worauf wir warteten, tat nichts. Der Klimawandel kam nicht, sozusagen, aber er war irgendwo da draußen. Stimmt ebenfalls, sagte ich mir, wenn das hier so weitergeht, erklärst du die Scheiße der Welt bis in die kleinsten Partikel, und dann tut sich doch was und du überlebst es nicht. Das war der Moment, in dem ich Angst bekam und zu denken aufhörte.
    Honig wurde unruhig. Er trat von einem Bein aufs andere, als befinde er sich auf einer Wanderung durchs Fichtelgebirge. Lydia Gebhardt zischte ihm ein Wort zu, das wie »Dummbeutel« klang, aber wahrscheinlich hatte sie nur »pssst« gemacht. Honig marschierte weiter.
    Wenn es wenigstens klingeln würde. Oder die massive Eingangstür splittern, was aber von Stahl kaum zu erwarten war, wie ich mich erinnerte. Oder der Motor des Wagens starten würde, das Geräusch sich entfernen, nichts weiter als ein Liebespärchen beim klandestinen Akt und jetzt geht’s heimwärts, er lenkt und sie rubbelt die Flecken aus dem Polster. Nichts von alledem. Wir warteten jetzt eine gute Viertelstunde, will sagen eine schlechte Viertelstunde, es ging auf Mitternacht zu, was die Sache nicht erträglicher machte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ich vor Schmerzen aufschreien oder husten würde, dann wäre alles vorbei, aber es wäre wenigstens vorbei. Honig sah es ähnlich, er wurde immer unruhiger, und auch Lydia Gebhardt bewegte ihren Oberkörper immer schneller vor und zurück. Es tat sich also etwas. Wenn auch nicht das, was sich tun musste.

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    »Wir müssen hier raus.« Endlich einmal eine gute Idee von diesem Honig. Lange hielt ich das hier nicht mehr aus. »Sprich nicht so laut«, sprach Lydia lauter als es Honig getan hatte. Der kläffte ein »Leck mich« und dürfte es zum ersten Mal in seinem Leben nicht wörtlich gemeint haben.
    Lydia Gebhardt hatte einen Entschluss gefasst. Sie stand auf, raffte ihr Kostüm in Form, zog die Heels aus, stopfte sie in die Handtasche. »Ganz vorsich tig runter in die Halle«, gab sie Anweisung, »Hinterausgang«. Sie ging auf Zehenspitzen voran, auch Honig zog seine Schuhe aus und folgte ihr, der Mann hatte das Zeug zur Primaballerina.
    Ich hörte sie die Treppe hinabsteigen und entknäulte mich vorsichtig. An mir waren Muskeln und Bänder und Sehnen, Gelenke und der übliche Zierrat, und alles meldete sich streberschülerhaft und schrie »hier!«. Ich bewegte mich in Zeitlupe, streckte was sich strecken ließ, zündete mir eine Zigarette an und verpaffte sie ohne Rücksicht auf Entdeckung. Unten in der Halle rächte es sich, dass man die Hintertür seit Jahren nicht geölt hatte. Stimmen. Sie wurden lauter, ich erkannte Lydias hysterischen Sopran und Honigs exaltiertes Falsett, dazu etwas Tiefes wie ein immer hektischer murmelnder Bach. Geräusche eines Handgemenges, Schreie. Dumpfe Töne, eine splitternde Glasscheibe, Schritte, die sich entfernten. Wieder Stille. Ich überlegte, was zu tun sei. Das war so, als wolltest du auf ein Pferd wetten, aber du hast keine Ahnung von Pferderennen. Wer würde gewinnen? Was würden die Gewinner tun? Abhauen, hoch in die Büros kommen? Und was wäre mit den Verlierern? Ganz klar allerdings, dass ich zu den Verlierern zählen würde.
    Autotüren wurden zugeschlagen, ein Motor heulte auf, es war wie vor Lothars

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