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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Mittelklasse, wir versuchten zu rennen, Hermine schrie auf, Borsig grantelte einen weihnachtlichen Strauß ausgesuchter Flüche, ich entsann mich einer noch sehr lebendigen Nacht in Eis und Schnee, als mich nur ein beherzter Sprung vor dem Überrolltwerden gerettet hatte, aber hier war es so eng, dass man nirgendwo hin springen konnte. Nur Sonja Weber reagierte gar nicht, sie ließ alles mit sich geschehen, kleine Wunden von Glassplittern im Gesicht, aus denen es noch leicht blutete. Wir drängten uns an die Hauswand, das Auto wurde neben uns abgebremst, die Beifahrertür aufgestoßen und eine Stimme mit vielen rollenden R’s kommandierte: »Straße ist richtig ratteneng, rasch rein.«
    Oxana, des Dichters Marxer linke und rechte Hand, ich sah im ersten Moment nur die schwarzen Strumpfhosen aus dem schwarzen Mini kommen, neben mir schnaufte Borsig, der das gleiche Bild vor Augen hatte, ein undifferenziertes »Oh meine Fresse«. Wieder so ein Zufall? Ich dachte mir ein langes »hm«, kletterte neben die Fahrerin, die anderen taten es mir nach und quetschten sich auf die Rückbank.
    Sie habe alles mit angesehen, ein paar Autos weiter in der Schlange, erklärte Oxana und fuhr los. »Ich musste IHM alle spanischen Tageszeitungen am Bahnhof besorgen« – sie wies auf das sogenannte Handschuhfach, aus dem es papieren quoll – »sein ‚Menschenfeinde’ ist ins Spanische übersetzt worden und jetzt wartet der Arsch wie ein Geier auf die ersten euphorischen Rezensionen.« Sie lachte. »Sind aber keine drin, hab schon mal schnell nachgeguckt. Was ist denn genau passiert?«
    Kurze Erklärung. »Und wer ist die Dame, Moritz?«, fragte Hermine von hinten, so wie Frauen fragen, die Konkurrenz wittern. Wieder eine kurze Erklärung und ein nicht sehr überzeugtes »Ach so«.
    »Wir fahren zu uns«, sagte Oxana, »das ist wohl im Moment das Beste. Niemand folgt. Und ich war mal Krankenschwester.« Eine Frau mit vielen Talenten.

93
    Der Hausherr, sagte Oxana mit nicht zu überhörender Geringschätzigkeit, tummele sich gerade bezwecks Inspiration in der Botanik. »Bringt eh nix, es gibt kein Viagra gegen intellektuelle Impotenz«. Wir betraten des armen Poeten eindrucksvolle Jugendstilvilla, Borsig und ich wurden sogleich mit der Zubereitung eines zweiten Frühstücks beauftragt, während sich die Damen, Sonja Weber in der Mitte, Richtung Badezimmer entfernten.
    »Mann«, sagte Borsig, als wir allein waren, »die Russin passt genau in mein Beuteschema.« »Sie ist Kasachin«, korrigierte ich. »Religion ist mir egal. Da bin ich tolerant.« Wenn seine Kaffeekochkünste auf ähnlichem Niveau dümpelten, stand uns allen ein grauenvoller Genuss bevor. Ich schnitt Brot, suchte Butter, Marmelade, Käse, die Eingangstür knarrte gediegen.
    »Was ist denn hier los?« Marxer trug einen weiten Ledermantel und schwitzte. Wieder einer, der Inspiration mit Transpiration verwechselte. Da ich inzwischen ausreichend Erfahrung im Resümieren katastrophaler Nachrichten besaß, erklärte ich ihm die Lage. »Gut«, sagte Marxer, »ihr hättet auch früher kommen können, dann wäre mir der Spaziergang erspart geblieben. Ihr seid ja besser als jedes Brainstorming.«
    Wir tranken von Borsigs gar nicht einmal so misslungenem Kaffee, aßen Käsebrote und warteten auf das Erscheinen der Damen. Die Gedanken in meinem Kopf waren dunkel, wieder kam mir der Zufall in den Sinn, Oxana damals bei »Beschriftungen aller Art«, Oxana jetzt am Ort des Verbrechens. Und immer rein zufällig. Wenn ich denke, sieht man das. Und da es nicht so häufig vorkommt, fällt es anderen auf.
    »Woran denkst du?«, fragte Marxer. »An seltsame Zufälle«, erklärte ich wahrheitsgemäß, denn leider sieht man auch, wenn ich lüge. »Nichts gegen den Zufall«, erklärte Marxer und tat so, als denke er nach (man sah es aber nicht und das machte mich schon wieder misstrauisch), »wir Kriminalschriftsteller leben vom Zufall. Alles im Leben ist Zufall. Denk nur an die Weiber. Du lernst eine kennen und warum lernst du sie kennen? Weil sie dir zufällig über den Weg läuft, zufällig in derselben Firma arbeitet oder du irrst dich zufällig in der Hoteltür und sie liegt im Bett und dann passierts und das alles nur, weil du besoffen bist, weil du zufällig einen alten Schulfreund getroffen hast, der zufällig in den falschen Zug gestiegen ist. Du verliebst dich. Schicksal? Ach was! Zufall!«
    Borsig nickte eifrig. »Aber«, wandte er ein, »das Joch der Herrschaft des Kapitals ist

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