Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Stirn bedrohlich in Falten – und gut is.
Wir kennen dieses Verhalten aus der Tierwelt, man denke nur an den Totenkopffalter, der potentielle Feinde – und der Typ hat mehr Feinde als ein Arbeitgeberpräsident – mit seiner Flügelzeichnung abschreckt. Er ist quasi der Hell’s Angel unter den Schmetterlingen. Ähnliche Muster beobachten wir unter Politikern, wenn zahn- und argumentationslose Herr- und Damschaften sich total böse hinter Rednerpulten aufbauen, um Gift und Galle zu spucken. Der Diktator muss weg, aber wir enthalten uns mal der Stimme. Das schüchtert ein, obwohl der denkende Mensch sogleich weiß: Nur arme, ängstliche Würstchen, sie müssen halt spielen.
Das Haus, in dem Honig wohnte, gehörte zu denen, auf deren imaginärer Stirn ganz groß „Eigentumswohnungen“ stand. Fünf Stockwerke, scheckbuchgepflegt, sogar einen „Hausmeister Raffke“ leistete man sich für so komplexe Arbeitsabläufe wie das Auswechseln von Glühbirnen, jedenfalls verriet dies das Klingelbrett. Honig hatte das Penthouse erworben, das er – Englischkenntnisse durfte man bei ihm wahrlich nicht voraussetzen – wohl immer „Pennhaus“ aussprach. Ich trat ein paar Schritte zurück und schaute nach oben, die Jalousien waren runtergelassen worden, kein gelbes Etwas blitzte durch die Lamellen, was nichts besagte. Ich klingelte und wartete.
Keine Gewalt also. Aber so tun als ob. Der Bursche hatte bereits eine lädierte Nase und würde sich hüten, es auf einen weiteren Schlagabtausch ankommen zu lassen. Ich übte Gesichtsgrimassen und fand endlich jene, bei der man mir den schwarzen Gürtel in Karate umstandslos abkaufte. Außerdem war Honig zwar jünger, aber dafür kleiner und schmaler als ich. Im Notfall musste ich also sein kaputtes Nasenbein durch bloßes Streicheln ein zweites Mal brechen.
Ich klingelte wieder, drei kurze Töne und ein langer. Es tat sich nichts. Eine längere Wartezeit stand mir bevor, diesmal ohne Auto und Verpflegung, ohne Wein, Weib und Laptop. Oder sollte ich das Vorhaben abbrechen, auf morgen verschieben? Ich lief ein wenig auf und ab. Dachte nach. Honig und Lonig, so assoziierte ich vor mich hin, der eine ein armes Würstchen, der andere der mächtige, sinistere Satansbraten im Hintergrund. Lydia Gebhardt und ihr Gatte, das hermetisch abgeschirmte Haus. Der ganze Osterquatsch. Ostereiersuche mit sprachgestörten Osterhasen auf den Osterinseln, wer die meisten findet, erhält einen Strauß Osterglöckchen und darf sich als erster sein Stück vom Osterlamm abschneiden.
Fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten. Im Erdgeschoss, wo Hausmeister Raffke hauste, wurde Beethovens achte Symphonie oder Bruckners elftes Klavierkonzert abgespielt, so genau konnte ich das noch nie unterscheiden. Auf jeden Fall war es nichts, was mal jemand als Popp-Musik bezeichnet hat, Chopins „Valse d’amour“ beispielsweise oder Tschaikowskis „Nussknacker-Suite“ in der extraerotischen Version mit Blockflöte und konterkarierendem Kontrabass.
Egal, ich hörte mir das an, weil es sonst nichts zu hören gab. Doch. Schritte im Treppenhaus, und zu sehen gab es auch etwas, Licht nämlich. Die Schritte klangen weiblich, klack, klack machte es und die Tür öffnete sich und tatsächlich kam Weibliches zum Vorschein, zwei junge Damen.
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Für Frauen, die dem horizontalen Gewerbe nachgehen, waren die beiden, die soeben aus dem Haus getreten waren, in der Vertikalen entschieden zu groß, mindestens 1,80. Ihre Bekleidung konnte indes keinen Zweifel an der Art ihrer Existenzsicherung aufkommen lassen, wenn sie auch noch nicht lange im Gewerbe tätig sein konnten, denn das zeichnet sich gerade dadurch aus, sich nicht nuttig anzuziehen und wenigstens das Stöckeln auf hohen Absätzen in Perfektion zu beherrschen. Genau damit hatten die beiden Damen, die nun näherkamen, ihre Schwierigkeiten.
Ich tat nicht so, als seien sie Luft für mich. Genau dann signalisiert man ja Interesse, was mir nicht in den Kram passte, da ich auch nicht genügend Geld dabei hatte. Außerdem kamen sie wohl gerade von einem körperbetonten Einsatz, vielleicht sogar aus Honigs Pennhaus. Sie waren auch, ganz ehrlich, nicht mein Fall. Die eine, deren Gesicht ich wie beiläufig checkte, kam mir seltsam bekannt vor, die andere hielt den Kopf gesenkt, beide hatten sich eingehakt und stützten sich gegenseitig. So gingen sie an mir vorbei.
So hätten sie an mir vorbeigehen sollen. Auf gleicher Höhe jedoch hob die
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