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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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neuen Wolkentürmen, denen kein Wind Asyl streitig machte, sie hinwegfegte oder gar den großen Diktator Sturm beauftragte, klar Schiff zu machen. Und es knallte. Knallte fürchterlich. Na eben: 30. Dezember.
    Schulkinder zündeten Monsterkracher, debiles Altvolk, im Hirnersatz nischt wie Carmennebel und Schlachtfeldphantasien, testete Tischfeuerwerk und freute sich, wenn Zinnsoldaten umfielen, wahrscheinlich riss gerade irgendwo ein Daumen von der ungeschickten Hand, verwandelte sich ein Auge in Rührei, dachte Opa bei der Detonation eines Chinaböllers an die toten Kameraden von Stalingrad. Das ist immer so kurz vor Silvester, ich hasse das, aber klingelte schulterzuckend an Irmis Haustür, abseits vom vorgezogenen Trubel, beinahe wie aus der Zeit gefallen.
    „Na, du kommst zur rechten Zeit. Hast Hunger?“ Sie trug einen blauen Trainingsanzug, auf dem Rücken der Schriftzug „DDR“, und ging mir auf der Treppe voran. Die Treppe hatte mich erkannt und knarzte grüßend „nabend“. „Ich ess ja morgens notorisch nix und dafür am Abend mein Frühstück. Willst ein Hörnchen mit Butter oder Brötchen mit fett Konfitüre oder ne Nussecke?“ Mit Mühe verbarg ich den Brechreiz, entschied mich für eine Tasse Pfefferminztee und stellte beruhigt fest, dass nirgendwo auf dem Tisch die knallgelbe Flasche drohte. Was nichts zu besagen hatte, war mir schon klar.
    Zwei Kerzen tropften vor sich hin, es duftete nach verbranntem Öl exotischer Herkunft, es war gemütlich wie nur je in Retrostanien, gleich würden zwei Langhaarige mit Schrammelgitarren hereinkommen und klagend fragen, wo die Blumen geblieben sind. „Hm“, sagte Irmi, kaute herzhaft dazu, „ich geh  nachher zu den Sisters einen trinken. Kommst mit?“
    Nein, antwortete ich, mein Bedarf sei für heute gedeckt. Sie sah mich neugierig an und ich erzählte, sie ließ die Nussecke, das Hörnchen, die Brötchen vom Erdboden verschwinden – kommen Nahrungsmittel eigentlich in den Himmel? Nö, oder? – und meine Informationen in ihrem Kopf.
    „So, so, Tauschwirtschaft. Is ja ne alte utopische Kiste, also Gemeinwohl etc., kein Eigentum, das in irgendeiner Form zu abstrakten Werten gerinnt, Geld wird, Entfremdung und so, nicht nur entfremdete Arbeit, aber auch das, Mann, da gibt’s inzwischen ganze Bibliotheken drüber, aber alles Unfug. Und wieso Formeln?“ Das wusste ich auch nicht. Sie versprach, sich noch einmal in die Thematik einzulesen, sie habe ja viel Zeit, altes Eisen halt. Ich widersprach pflichtgemäß, sie deutete einen Klaps auf meine Wange an, „nee, nee, lass man, die Zeiten für Komplimente sind vorbei, mein Schatz.“
    Okay, änderte ich eben die Strategie und berichtete von meinem Verfolger, was Irmi nur mit einem „war doch klar“ aufnahm. „Wenn das hier wirklich ein globales Ding ist, haben die Geheimdienste Wind davon bekommen. Oder Mafia. Heute hat ja jedes Land seine eigene Mafia oder mehrere. War das ein Gelber? Dann chinesische Triaden.“ Nein, weiß, männlich, Mitteleuropäer. „Pass auf“, riet mir Irmi und begann den Tisch leerzuräumen, „das ist ne andere Baustelle als die Sache mit den Mädels und den Kids im Bergwerk und Charles Dickens und so.“
    Sie trug das Geschirr zur Spüle, verstaute den Abfall im Eimer, sagte „Moment“, verließ den Raum und ich wusste, was jetzt kommen würde. Das Fläschchen mit dem Eierlikör, zwei Gläser. „Warum trinkst du eigentlich dieses Zeug?“ fragte ich, ein verzweifelter Mann. Irmi lachte laut. „Nicht weil’s schmeckt. Vielleicht weil eine alte Frau sich so benehmen muss wie eine alte Frau sich eben zu benehmen hat, und ich hab mich immer anders benommen als die anderen und jetzt benehm ich mich genauso wie die anderen, aber ich weiß das und deshalb ist auch das anders. Nee, ich bin noch nicht betrunken. Trinkst einen mit? Ja doch, gell?“
     
     
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    Ich brachte Irmi noch zur „Bauernschenke“, ein Spaziergang durch zarte Schneeballerinen, die im Walzertakt zu Boden tänzelten. Niemand verfolgte uns und wenn doch, dann sehr professionell. Einen Moment lang dachte ich: Das hast du dir alles nur eingebildet. Im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich mir nur einbildete, es mir einzubilden. „Pass auf dich auf“, sagte Irmi und tätschelte meine Wange. Eine gute Mutti, die nun schleunigst zu ihrem Eierlikör musste.
    Früh zu Bett. Ich ließ Massenmedien Massenmedien sein, schnappte mir ein Buch als Einschlafhilfe. Es war ein gähnend langweiliges Traktat über

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