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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Aufpreis, versteht sich. So  bessert der Franzose seine Rente auf, haben beide Seiten etwas davon.
    Lauwarmer Milchkaffee, blätternde Croissants: Es war gekommen, wie es hatte kommen müssen. Ich sog Paris in mich auf, schaute durch die Glasfront auf die Bewegungen der Vorstadt, hörte um mich herum das nasale, nur in sehr kurzen Sentenzen sinnhafte Französisch – und, naturellement, das „WANN fährt dieser Scheißzug nun wieder ab?“ deutscher Wort- und Kofferträger, gedachte des Opernplatzes, wo ich einstmals (lange her) ein wunderbares Menü zu einem wunderbar dreisten Preis genossen hatte (und die leichtfüßige Kellnerin, wie einem klassischen Ballett entsprungen) – dann bemerkte ich die Frau aus dem Zug, ein paar Tische weiter, über Milchkaffee und Croissant (auch das naturellement), zwischen der obligatorischen Mahlzeit und dem langsam mahlenden Kiefer den „Reiseführer St. Malo“. Sie sah mich nicht oder tat doch so, als sehe sie mich nicht. Ich sog auch sie in mich auf.
    Die Zeit verging langsam, hey, das hier ist Paris, also keine Hektik, einfach nur das Atmen nicht vergessen, die schlagerbekannte Pariser Luft, von der Auspüffen uralter blecherner Kastenwagen und schnittiger Peugeots, Citroens und Renaults unablässig produziert, eine Brise Pigalle, Eiffelturm und Louvre, Montmartre und Montparnasse, Moulin Rouge und Pantheon beigemischt – aaaaaaaah.
    Jetzt sah sie zu mir herüber, unsere Blicke trafen sich, Wiedererkennen, knappes Nicken und Lächeln. Ich legte Geld auf den Tisch, schnappte meine Tasche und stand auf, sie schaute auf die Uhr und tat es mir nach: Geld, Tasche, Aufstehen. Der TGV wartete bereits auf uns. Im Gegensatz zum ICE würde man niemanden ohne Reservierung antreffen, so dumm ist der Franzose auch wieder nicht, dass er überfüllte Züge in Kauf nimmt und, um sie einigermaßen zu leeren, 25-Euro-Gutscheine für all jene auslobt, die freiwillig auf die Weiterreise verzichten. Reservierungspflicht, und ich habe mich immer gefragt, warum man ausgerechnet in Deutschland auf diese Möglichkeit verzichtet, eine neue bürokratische Maßnahme einzuführen.
    Platz in Fahrtrichtung. Die Dame ging an mir vorbei, suchte ihren reservierten Sitz, fand ihn endlich drei Reihen vor mir. Es war schön temperiert im Abteil, auch hier hat der Franzose dem Deutschen einiges voraus. Ich schloss die Augen, streckte mich, atmete durch. Und der Zug setzte sich in Bewegung.
     
     
    167
    Rennes! Das Tor zur Bretagne machte seinem Namen alle Ehre und nötigte mich zu rennen. Eine steile Treppe hoch, eine steile Treppe hinab, unten wartete der Bummelzug und pochte auf pünktliche Abfahrt. Die Dame mit dem Reiseführer keuchte in hohen Stiefeln hinter mir her, ich würde mich, ganz Kavalier, natürlich so lange vor den Zug legen, bis sie eingestiegen wäre. Es war nicht nötig und für einen Moment fand ich das schade.
    Bretagne! Flach, trostlos, langweilig. Noch nichts vom Zauber der Kelten, der Menhire, der wütenden See, Alan Stivell zupfte nicht auf seiner keltischen Harfe, die Bombardes tuteten nicht, kein Druide saß zwischen all den schnäbelnden jungen Franzosen und versorgte sich mit Musik aus seinem iPod. Die Dame hockte zwei Reihen hinter mir, wahrscheinlich genauso außer Atem wie ich. Der Zug verhöhnte uns und gönnte sich drei Minuten Verspätung, bevor er endlich anfuhr und durch besagte Flachheit, Trostlosigkeit, Langweiligkeit zockelte, aber nein, das ist ungerecht. Es war halt nicht das, was man von der Bretagne erwartete, nicht das, was einem die Erinnerung zurief. Weißt du noch damals? Mit dem Interrail-Ticket und dem Schlafsack, dem permanenten Dosenfraß und wie du, mit Daniela!, am Strand von St. Malo übernachtet hast? Es war August, es war heiß, es war schön und romantisch, durch die Felsen huschten Ratten, auf den Ruhebänken ruhten Obdachlose, die hier Urlaub machten, es gab noch Francs, aber wir hatten eh nicht viele davon. Stattdessen hattest du deinen ersten zögerlichen Oberlippenbart und leider die Kondome vergessen, so dass Daniela nach einer Woche mit dem glücklichen Besitzer eines Gummivorrates abzog und du ganz alleine, ganz traurig deine Reise fortsetzen musstest. Lorient, Quiberon, Brest. Das Meer, die Gezeiten, die Musik, die Sagen, dann noch einmal St. Malo, die legendäre Korsarenstadt, und dort schließlich hattest du keinen Sou mehr in der Tasche, aber eine mitleidige ältere Frau hat dir ein Baguette, ein Stück Käse und 20 Francs zugesteckt,

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