Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
obwohl du Deutscher warst und die St.Malo zerstört hatten.
Und jetzt wieder: St. Malo, der Bahnhof, „sortie“ heißt „Ausgang“, das weiß man noch, und ich taumelte Richtung Ausgang, ja, ich taumelte, denn die Luft berauschte mich, das Meer, das Salz, die Fäulnis. Tief einatmen und das Ausatmen nicht vergessen. An die Dame aus dem Zug dachte ich nicht, aber plötzlich stand sie neben mir, ihren Reiseführer gezückt, einen suchenden Blick über den Vorplatz geschickt – hier sieht St. Malo aus wie jede x-beliebige französische Provinzstadt, ihren Schatz verbirgt sie noch, den muss man sich erlaufen, das wusste ich – dorthin, wo die Tourist Information sein musste und auch war, doch ein großes Schild verkündete, das Büro sei geschlossen. Kein Wunder, es war Anfang Januar, kein normaler Tourist in der Stadt, nur ich und die Dame – hm, warum eigentlich sie?
„Hm“, machte es jetzt auch neben mir und ich drehte mich zu ihr hin. Sie sah mir direkt ins Gesicht, lächelte unsicher, schüchtern. „Wenn schon die Tourist Information geschlossen hat, dann wohl auch die Hotels?“ Sie fragte es weniger mich oder sich selbst, sie fragte es die Stadt und erwartete keine Antwort, aber ich gab ihr eine: „Stimmt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Die meisten Hotels werden über Winter geschlossen sein, die meisten Cafés und Restaurants wohl auch. Aber ich nehme an, Sie wollen auch intra muros?“
Sie sah mich fragend an. „In die Altstadt, den mit einer hohen Mauer umgebenen Teil von St. Malo. Eigentlich gar nicht so alt, weil im Krieg fast vollständig zerstört, danach aber wieder originalgetreu aufgebaut. Man kann ein Taxi dorthin nehmen oder 20 Minuten zu Fuß hin laufen.“ Sie schwankte. „Was machen Sie? Taxi oder zu Fuß?“ Ich hatte mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken darüber gemacht, sagte aber ohne Zögern: „Zu Fuß. Sie gehen immer dem Meer zu, Sie merken das an der salzigen Luft.“ Ich nahm meine Tasche auf, sie die ihre, wir sahen uns wieder an. „Wenn Sie nichts dagegen haben, schließe ich mich Ihnen an. Sie scheinen die Stadt zu kennen. Ich bin zum ersten Mal hier.“ Ich hatte nichts dagegen. Was sollte ich auch dagegen haben. Wir setzten uns in Bewegung.
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Sie hieß Ludovika Sassen – „aber sagen Sie bitte Vika zu mir“ – und brauchte eine Woche Urlaub. Warum, sagte sie nicht, warum St. Malo anstatt Mallorca verschwieg sie ebenfalls. Wir spazierten gemütlich der mächtigen Stadtmauer zu, erreichten das Tor und hatten uns im Stillen darauf geeinigt, gemeinsam ein Hotel zu suchen. Dass wir der Peinlichkeit, für ein Ehepaar gehalten zu werden, ins Auge schauen mussten, wurde billigend in Kauf genommen und mit einem gewissen Bauchkribbeln erwartet.
Das Unterfangen entpuppte sich als schwierig, die meisten Hotels neckten uns mit „fermé"-Schildern. Dafür waren die Straßen angenehm frei, kein zähflüssiger Brei französischer Ferienmacher schob sich zwischen den massiven Häusern mit den breiten bretonischen Kaminen hindurch, dafür fuhren auch durch die engsten Gassen die dicksten Autos, denn eine Fußgängerzone gab es hier nicht. Ich hätte als eingefleischter Fußgängerzonenhasser den Asphalt küssen können.
„Pedro’s“. Von außen unscheinbarer Zweckbau (und von innen gewiss nicht mehr) dicht an der Mauer, hinter der schon das Lärmen der Brandung lockte, mit dem entscheidenden Vorteil: Es hatte geöffnet. An der Rezeption erwiesen sich die Trümmer meines Schulfranzösisch nach einigen Irrungen und Wirrungen als in der Lage, dem freundlichen Angestellten klar zu machen, wir begehrten KEIN Doppelzimmer. Das sei aber wesentlich billiger, beharrte der gute Mann zunächst. „Je sais, mais...“, entgegnete ich und kaschierte meine Wortfindungsstörungen mit ausufernder, von allerhand Gesichtsgymnastik unterstützter Handgestik. Der Mann betrachtete Vika wohlgefällig, so charmant-lüstern, wie es nur ein Franzose kann, und verstand nicht, wie ich diesen doppelten Vorteil so kampflos aus der Hand geben konnte. Geld sparen und eine hübsche Frau neben sich im Bett, kein Wunder, dass die Deutschen ausstarben (obwohl selbst ewige SPD-Mitglieder davor warnten, Statistiken fehlinterpretierten und an das Doofheits-Gen ihrer Mitmenschen appellierten) und gelegentlich Kriege vom Zaun brachen. Endlich nickte er resigniert. Wir waren also doch nicht William und Kate auf Hochzeitsreise.
Unsere Zimmer lagen nebeneinander im 2. Stock. Wir bestiegen den
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