Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Rechner SPD die absurdesten Meldungen über den Sozialstaat und hörte auch damit nicht auf, als längst viele „Freunde der Sozialdemokratie“ ihre Freundschaft aufgekündigt und SPD „auf Igno“ gesetzt hatten, wie das in der Fachsprache hieß.
Schön, dachte ich mir, so ist das. Aber widmen wir uns nun wieder den erfreulichen Dingen des Lebens, die gerade auf den Namen Vika hörten und sich im Nebenzimmer wohl gerade für das kostenlose Abendessen rüsteten. Es war über all dem nutzlosen Philosophieren Viertel vor Sieben geworden, längst dunkel draußen, ich prüfte noch einmal mein Aussehen im Badezimmerspiegel, fand es annehmbar, fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter ins Foyer, nickte dem Rezeptionisten zu, der, mit Telefonieren beschäftigt, kurz zurücknickte, setzte mich in einen Sessel und wartete und dachte wieder nach, diesmal über Vika und das Abendessen, einen kleinen Flirt oder keinen – nein, mach keinen erotischen Stress, Moritz, spar dir das, genieße den Abend, lass den anstrengenden Tag ausklingen... Oh mein Gott! Hätte ich damals gewusst, was mich erwartete, ich wäre hochgerannt, hätte mein Zeug gepackt, um schleunigst von hier zu verschwinden. Vor mir lag das größte Abenteuer meines bisherigen Lebens und wenn ich jetzt, ein paar Wochen später, daran zurückdenke, verschlägt es mir die Sprache. Also halte ich am besten die Klappe.
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„Also halte ich am besten die Klappe.“ – Oh weh! Wenn ein Ich-Erzähler das Maul hält, hat der Autor ein Problem. Er hat es, nebenbei, sowieso, denn man glaube doch nicht, der Autor sei tatsächlich der Herr über sein Personal! Einer wie Moritz Klein macht was er will, der kümmert sich nicht um die ehernen Gesetze des Genres, dem sind dramaturgische Kurven piepegal. Jetzt schweigt er also eine Zeitlang und zwingt mich, den Autor, aus meiner Perspektive zu berichten. Gut, unter uns: Das mögen die Leserinnen und Leser eh lieber. Lass deine Figuren als „Er“ und „Sie“ durch die Geschichte hampeln, switche wie mit einer Fernbedienung hin und her, zeig als Autor, was für ein flexibles Kerlchen du doch bist, dem kein narrativer Kniff fremd ist – und, hey, du darfst sogar Fremdwörter verwenden! Narrativ? Das hätte dieser Prolet Moritz niemals in den Mund genommen! Also denn mal los und so erzählt, wie mans auf der Krimischule lernt.
Und immer schön mit Zwischenüberschriften und einem „roten Faden“. Hm, kurzes Nachdenken. Wo befindet sich unser verstummter Held gerade? Genau. Im Foyer dieses bretonischen Hotels. Er sitzt in einem Sesselchen und wartet, Frau Vika wird mit geziemender Verspätung erscheinen, nicht zu wenig, nicht zu viel, gerade recht. Frauen halt. Sie haben immer noch zu tun, wenn unsereiner schon längst fertig ist, sich die Haare gekämmt, das letzte Schlafkörnchen aus dem Augenwinkel gerieben hat, noch einmal das Näschen hochzieht und flüchtig überprüft, ob die Eier auch wirklich links in der Hose sitzen, weil das besser kommt als rechts. Aja, ich habs:
Die Toilette der Frauen
Vika musterte sich im Spiegel. Kritisch. Sie war eine schöne Frau, nicht zu schön, keine fragile Vase aus der Mingdynastie, die hinter Panzerglas vereinsamen muss, weil kein Mensch es wagt, sie in die Hand zu nehmen. Sie hatte Wiedererkennungswert, wie es Frauen in Stunden des Zweifels nennen, um sich zu trösten, dass die Nase ein wenig zu spitz, die Stirn ein wenig zu fliehend, das Kinn zu massiv, die Beine etwas zu sehr o-förmig sind oder man den Verdacht hat, es sei so und jedem fiele das auf. Wiedererkennungswert also. Originalität. Ein positives Echo im Gehirn des Betrachters.
Sie zog den Lidschatten etwas nach. Befeuchtete die Lippen, dunkelrot, nicht zu dunkelrot, immerhin. Trat einen halben Schritt zurück (zu mehr hätte es im engen Badezimmer auch nicht gereicht), betrachtete sich im Profil, überprüfte ihre Büste, das Kleid, das sie in Form hielt. Mit ihren Brüsten konnte Vika zufrieden sein. War es aber, natürlich, nie. Und schalt sich dafür. Sie, eine souveräne Frau, eigenständig, selbstbewusst, zupackend – und dann machte sie sich Gedanken über ihre Brüste und überhaupt. Sie tröstete sich, es gehöre zu ihrem Job. Nein, sie wollte Moritz Klein nicht verführen. Dazu hätte sie den ganzen Aufwand nicht betreiben müssen, das hatte sie sofort gemerkt, als er sie im ICE nach Paris wie ein Möbelstück abschätzte. Wie eine Couch, auf der man gerne probeliegen möchte, so ungefähr. Männer
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