Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
träumt. Borsig in den Armen seiner Anja, in seinen Schlafbildern laufen sie nackt durch eine Fußgängerzone, was bedeutend angenehmer ist als sich vorzustellen, eine Livree zu tragen und dickliche Konsultypen durch die Gegend zu kutschieren, was er aber wird tun müssen, der arme Borsig, ab morgen und umziehen wird er auch, ein Zimmerchen unterm Dach der Protzvilla. Anja hat ihm gesagt, in welchem Hotel ihr Verflossener, Regitz, residiert. „Les Saints“ heißt die bescheidene Absteige. Die Nachricht war sogleich an Oxana übermittelt worden, hätte noch Zeit gehabt, denn Oxana schlummerte längst in anderen Armen, denen des Morpheus und träumte von Sonja Weber und träumte nicht von den kasachischen Steppen, die so herrlich ohne Meer dahinwogten, dass keine Leichen als lästiges Strandgut zu befürchten waren. Auch Sonja Weber dürfte gerade träumen, allerdings wissen wir weder wo noch was, aber sie träumte nicht von Leichen und wenn, dann erwachte sie sofort, wischte sich den Schweiß von der Stirn, ging ins Badezimmer und erschreckte sich mit dem Anblick ihrerselbst im Spiegel im schlechten Licht der Glühbirne.
Moritz Klein träumte von alledem, von dem er nicht träumte. Von einer besseren Welt, in der junge Mädchen auf blühenden Wiesen Blumen pflückten, was so langweilig gewesen wäre, dass Moritz – hätte er wirklich davon geträumt – sogleich das große Gähnen überkommen hätte und er im Traum eingeschlafen wäre, um von der wirklichen Welt zu träumen, in der junge Mädchen mit Sprengstoffgürteln in U-Bahnen Leben pflückten und gleich wieder wegwarfen. Davon wachte er für einen Moment auf, orientierte sich - erfolglos – in der Dunkelheit seines Hotelzimmers, griff neben sich und spürte Hermines Weichheit – er träumte also nur, er sei aufgewacht – und legte sich beruhigt zurück aufs Bett, schlief weiter oder dachte, er würde weiterschlafen und tat es doch schon die ganze Zeit.
Hermine schlief traumlos. Und dabei merkte sie nicht, wie die Welt um sie herum träumte, was ein Albtraum gewesen wäre, aber da sie es nicht merken konnte, war es gar nichts, nicht einmal ein Zucken der Nervenenden. Sie würde am Morgen aufwachen und sich fragen, von was wohl Moritz geträumt hatte, sie würde den Computer hochfahren, ihre Mails checken – er hatte ihr tatsächlich eine geschickt, in der er lapidar mitteilte, Oxana – inzwischen auch erwacht – habe ihm das Hotel genannt, in dem Regitz wohnte, er werde sich nun anziehen, irgendwo frühstücken – das Frühstück im Hotel war frugal, viel zu teuer, langweilig – und zunächst das Hotel, sodann jene Firma aufsuchen, in der .... usw, er hoffe jedenfalls, ihr, Hermine, ginge es gut und „erzähl doch mal, wie das bei den Sisters so war und ich denke an dich, ich vernasche dich in Gedanken und denk nicht einmal im Traum daran, mich mit einem anderen zu betrügen“ und Hermine nickte, nein, im Traum hatte sie leider nicht daran gedacht, welcher Traum denn, sie träumte so gut wie nie und wenn, dann immer nur von geschäftigen Registrierkassen und – bellenden Hunden, die Frischfleisch auf das Förderband legten und mit den Zähnen fletschten, wenn es ans Bezahlen ging.
Der Vollständigkeit halber: Vika hatte jede Menge geträumt. Und, aufgewacht, sofort wieder vergessen. War ihr nur recht. Anstrengender Tag heute, also aufstehen, fertig machen. Nicht dass Moritz Klein vor ihr das Hotel verließe.
175
Böses Erwachen
Hermine blinzelte. War das die Wirklichkeit? Ein nasskalter Morgen, durch den sie gehen musste, nicht mehr so kalt wie die letzten Tage, aber das waren Tage der Freiheit gewesen, Tage der Anarchie. Jetzt begann die Fron aufs Neue, es hatte sich ausgeurlaubt, der weiße Kittel mit dem Namensschild wartete in einem blechernen Spind, die Kolleginnen mit ihrer schlechten Laune und ihrem noch schlechteren Männergeschmack, der Filialleiter, junger Schnösel mit Abitur, als Filialleitungsanwärter ganz pickliges Karrierekerlchen.
Und die Kassenbox. Wäre Hermine ein Huhn, sämtliche Tierschützer würden für sie kämpfen, vor der Konzernzentrale Transparente schwenkend, „mehr Auslauf für Hermine!“. Aber sie war nur ein lobbyloser menschlicher Scanner, eine Grüß-Gott-macht-achtfuffzig-darf-ich-mal-in-ihre-Tasche-sehn-Maschine, bestenfalls der feuchte Traum alleinstehender älter Männer und manchmal auch durch den Regenwald ihrer Pubertät machetender Jünglinge, eine Frau mit Brüsten, dafür ohne
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