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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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ganz.
     
     
    173
    Nachtgedanken
     
    Moritz Klein umging das strikte Rauchverbot, indem er während des illegalen Aktes seinen Kopf aus dem Zimmer des Hotelfensters hielt und sich an der frischen Luft befand, mithin das Zimmer nur mit solchen Körperteilen benutzte, die anatomisch betrachtet nicht aktiv am Rauchen beteiligt waren. Diese Abwesenheit traf in gewisser Weise für den ganzen Mann zu. Moritz Klein war nicht da. Nicht in St. Malo, wo die Ebbe der Flut gewichen war und das Meer brüllte wie die Fans von Borussia Dortmund beim Überreichen der Meisterschale. Er lag, viele Hunderte von Kilometern entfernt, in Hermines Bett, deren Besitzerin schmiegte ihren Körper an seinen, sie atmeten gleichmäßig, die Bäuche nur durch den dünnen, reibenden Stoff von Hermines Negligee voneinander getrennt. Oder nein, scheiß drauf: Sie waren beide nackt.
    Moritz dachte an Vika. Das Essen, die Gespräche, den Verdauungsspaziergang. Alles sehr nett, sehr harmlos, keinerlei Erotik, ein Händedruck zum Abschied. Moritz konnte stolz auf sich sein und war es auch, zugleich empfand er den leichten männlichen Schmerz einer Niederlage, denn jede verpasste Gelegenheit, das Befruchten einer Eizelle ohne bevölkerungssteigernde Konsequenzen zu üben, deprimierte die Inhaber entsprechender länglicher Fortpflanzungsorgane naturgemäß. Also dachte er lieber an Hermine, ihren Leib, ihre Nacktheit – und schlief ein.
    Und wachte wieder auf. Verdammt, Oxana konnte nicht schlafen. Hermines Telefonanruf, gerade als sie nach Hause zurückgekehrt war, Marxer eine heiße Milch mit Honig zubereitet hatte, ohne die der Dichter nicht einschlafen konnte und auch nicht, ohne Oxana über ihr sexuelles Intermezzo befragt zuhaben, dessen Einzelheiten er sich akribisch für seinen neuen Roman notierte, der den Arbeitstitel „Frauensperma“ trug. Es ging um ein lesbisches Pärchen, das plötzlich islamistisch wird, ein Ausbildungscamp von Al-Kaida besucht, dort ebenso plötzlich heterosexuell wird und beide verlieben sich in Abdelkader, den jungen zukünftigen Selbstmordattentäter, der aber in Osama bin Laden verliebt ist und Angst davor hat, dieser fiele den amerikanischen Teufeln in die Hände und werde vor seinen Augen hingerichtet. Ein irrwitziger Plot.
    Irrwitzig auch, was Hermine ihr erzählt hatte. Heißer Mädchensex mit Sonja und den Zwillingen, alle drei erheblich betrunken und Lothar, die Sau, als genießender, fotografierender Betrachter. Wenn du wieder nüchtern bist, kann das ein Mordmotiv sein, überlegte Oxana. Und stellte sich gleichzeitig vor, wie sie selbst neben Sonja im Bett liegen würde, ihre Körper nackt, nein, durch den dünnen Stoff eines knisternden Nachthemdes getrennt, nein, nicht knisternd, denn bestimmt würde Sonja ein Nachthemd aus reiner Baumwolle tragen und die knistert ja nicht.
    Es knisterte, das hatte Irmi sofort gemerkt. Als junge Frau hatte sie Sex riechen können, jetzt konnte sie ihn nur noch hören. Der Geruch war verblassende Erinnerung: nach Veilchenpastillen, nassen Handtüchern, Männerschweiß und der Tränenflüssigkeit trächtiger Meerschweinchen, nichts war davon geblieben, nur dieses Knistern in den Ohren, als zerknülle jemand eine Papiertüte aus dem Fleischwarenfachgeschäft.
    Irmi trug, weil sie fror, einen grünen Trainingsanzug im Bett, den mit den drei Streifen. Alt zu werden war scheiße. Du sitzt unter Mädchen, denen das Verlangen aus den Poren trieft und du riechst es nicht mehr. Es hatte ganz schlicht nach Schnittchen gerochen, nach Aufschnitt und Käse und Gewürzgurken. Schön arrangiert hatten das die Sisters. Schön bürgerlich, als treffe man sich zum Diaabend, dabei gab es nur diesen Videoclip. Drei Frauen und ein Mann beim Picknick (mit Schnittchen) und die stockenden Stimmen von Helga und Monika, den anschließenden sexuellen Exzess betreffend.
     
    174
    Wovon weder die einen noch die anderen träumten
     
    Es war tiefe Nacht in St. Malo und nur das Meer hatte noch Schicht. Es ebbte, es flutete, es spülte den Leichnam Osama bin Ladens an die Gestade, es nahm ihn bei der nächsten Flut wieder mit und schickte ihn weiter auf mythische Tour, demnächst auch an ihrem Badestrand. Oder war es die Leiche von Youssef L., Tunesier, über Bord eines maroden Kahns vor Lampedusa gegangen und von den launenhaften Strömungen der See ohne gültiges Visum in den Ärmelkanal transportiert?
    Keine Ahnung, spielt keine Rolle, interessiert doch niemanden, denn alles schläft und alles

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