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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Pensionärin mit dem gefüllten Konto, ehemals eine Antikapitalistin reinsten Wassers, unternimmt einen Ausflug zu den ergrauten Idealisten, die irgendwo im vorstädtisch Ländlichen ihren bescheidenen Tauschgeschäften nachgingen, den Acker bestellten, das Vieh versorgten, Ketten aus Holzperlen fertigten und auf alternativen Märkten gegen Nudeln und alte Karl-Marx-Gesamtausgaben verhökerten. Neoliberalismus meets Steinzeit. Ok, auch Irmi hatte durch die Finanzkrise Geld verloren, ein wenig zu gierig gewesen, aber nicht viel. Der Gedanke daran machte sie jetzt wütend. Sie blieb noch eine Weile liegen, ihr Puls beschleunigte. Arschloch, dachte sie und meinte sich selbst. So aufzufallen, nur weil fünf Prozent mehr sind als vier Prozent.
    Es klingelte an der Haustür. Nanu? Zwanzig nach Sieben? Der nette Moritz war seit Wochen der erste gewesen, der sie besucht hatte, doch nicht so früh! Außerdem weilte der gerade außer Landes. Die schöne, stolze Kasachin? Unwahrscheinlich. Hermine oder das kleine Männchen mit der Fußballmütze? Ach geh, die würden höchstens anrufen. Ich bleibe einfach liegen und mache nicht auf, entschied Irmi. Gute Entscheidung. Denn wer immer geklingelt hatte, nahm Irmi auch das Öffnen der Tür ab. Konnte man deutlich hören, wie das alte Holz ächzte und die Scharniere, deren letzte Ölung schon lange zurücklag, sich aufführten wie eine rollige Katze. Wenigstens akustisch. Ach, du lieber Gott, dachte Irmi, Einbrecher. Ich tue so, als würde ich schlafen. Wertsachen hab ich nicht viel, liegt alles im Banktresor, der ganze Familienschmuck. Das bisschen Geld halt, na ja. Ob es mir ein Investmenthai wegnimmt oder so kleine Ganoven, die aus der Unterschicht kommen und Opfer des Bildungsschiefstands hierzulande sind – was ist wohl besser? Vergewaltigen werden sie mich auch nicht, kann ihnen niemand verdenken.
    Jetzt machten sie die Tür leise hinter sich zu. Irmi hielt die Luft an. Wenigstens konnte sie nicht behaupten, ihr Leben sei langweilig gewesen. Nein, nein, war es eigentlich nie. Und möglicherweise stand sie gerade kurz davor, ihr Leben turbulent zu beenden.
     
     
    177
    Immer noch böses Erwachen
     
    Oh nein, dachte Oxana, er rumort wieder. Wälzt sich mit dem Geräusch einer Panzerkette durch das Haus und sucht die Inspiration wie unsereiner Salzstreuer oder Lesebrille. Sie lag da und starrte gegen die Decke. Zum ersten Mal überlegte sie sich, ob es nicht umgekehrt war und die Decke gegen sie starrte. Suchte einen positiven Satz, so wie jeden Morgen. Einen Satz, für den sich das Aufstehen lohnte, so etwas wie „Heute verändert dein hammermäßiges Karma die Welt zum Besseren.“ Schwer zu finden, meistens, heute hoffnungslos.
    Er zog seine Kreise enger, kam ihrer Tür immer näher, würde davor stehen bleiben und warten, käme nicht herein. Das war tabu. Er hüstelte gekünstelt, also auch dabei ganz Künstler, murmelte etwas, seinen positiven Satz. Sie seufzte, sehr leise. Musste sein. Schlug die Bettdecke zurück, sah hinunter, dorthin, wo das kurze Nachthemd endete und die Nacktheit begann. Ich trage ein Nackthemd, dachte sie und lächelte. Stand schließlich auf, machte Geräusche, die Schritte draußen stoppten jäh. Oxana ging auf bloßen Füßen zur Tür, öffnete sie, er stand vor dem Schränkchen im Flur und tat so, als befinde sich darin, zwischen allerlei Krimskrams, die göttliche Kreativität des Dichters, man musste nur zugreifen, die Haarbürste – in einer epochalen Odyssee hier gelandet – ein wenig zur Seite schieben, das devine Geschenk herausholen.
    Er beachtete sie kaum, das war ungewöhnlich, nein, das war höchst merkwürdig. Sonst delektierte er sich an ihrem Anblick, der Nacktheit im kurzen Hemd, der Nacktheit darunter, das war ihr Job, dafür wurde sie bezahlt, das brauchte er zum Schreiben wie die Syntax, den Wortschatz, das Fremdwörterlexikon, den starken Kaffee, die Zigaretten. Heute nicht? Heute nicht. Er war verwirrt, schwitzte gar. Sie blieb in der Tür stehen, dachte: Er hat sich an mir satt gesehen. Er sucht sich in Gedanken schon eine andere, eine Schwarze vielleicht, eine Asiatin, eine Third-World-Experience, was weiß denn ich. Gut so. Schade drum.
    Er richtete sich auf, sah sie an, schüttelte den Kopf, sagte dann, leise und ungläubig: „Sie ist zurück. Sonja ist wieder da. Sie liegt in ihrem Bett und schläft.“
     
     
    Der harte Job des Nichtstuns
     
    Wer nicht gesehen werden möchte, darf sich nicht verstecken. Vika machte

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