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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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höhere Schulbildung, mit gelegentlicher Jagdlaune, wenn sie Rentner erotisch und platonisch zur Strecke brachte, aber ohne eine Idee, wie sie der Kassenbox, dem Scanner, der Peinlichkeit der Rückgeldrückgabe entkommen konnte.
    Halt, stopp, doch: Ihr Leben hatte sich geändert, oder nicht? Sie war so etwas wie eine Privatdetektivin geworden, sie kombinierte wie Sherlock Holmes, grübelte wie Philip Marlowe, taktierte wie Miss Marple und beklagte sich nicht einmal wie Kurt Wallander über die Schlechtigkeit des Planeten – äh, nun ja, genau das tat sie aber gerade. Durch diesen nasskalten Morgen stapfend, in einem beigen Mantel unförmig geworden, auf flachen Schuhen mit schiefen Absätzen. Da vorne. ALDI. Stehen tatsächlich schon zwei Mütterchen vor der Tür und warten, bis das Paradies auf geht. Dauert noch eine halbe Stunde. Sie war spät dran und wahrscheinlich lauerte Chefchen Pickelfresse bereits hinter der Kiste mit den unfair gehandelten Bananen, bereit hervor zu hüpfen und sein Sprüchlein aufzusagen. Zu spät, Frau Kollegin.
    Zu spät? Es war kurz nach sechs. Zu spät? Wusste man eben nicht. Vika sprang aus dem Bett, geradenwegs unter die Dusche, kleidete sich an – unauffällig, grauer Mantel, flache Schuhe mit schiefen Absätzen, Haare zurückgebunden, Notschminke, fertig – und sehnte sich nach einem Frühstück. Sie betrat den Flur, so leise wie möglich, machte ein paar Schritte zu Moritz’ Tür, lauschte, hörte etwas, unter anderem ein männliches Raucherhusten, sagte sich: Gut so.
    Unten hatte man bereits für sie gedeckt, sie war die erste im Frühstücksraum. Kein Mensch zu sehen, das Büffet französisch mager, Croissants, längliche Brötchen, Marmelade und eine Art Käse, portionierte Butter und Kaffeemilchnäpfchen. Beeilung. Vielleicht würde Klein gar nicht hier frühstücken, gleich das Hotel verlassen und sie ihn aus den Augen verlieren. Berufliches Debakel. Sie kaute schneller, spülte mit dem Milchkaffee nach, ein zweiter Gast – ältlich, dümmlich, unhöflich, nicht mal gegrüßt hatte der – war aufgetaucht, Vika sah seinen Krummrücken über das Büffet gebeugt, ob der dortigen Nichtexistenz von Himbeerkonfitüre hadernd. Noch ein guter Grund, hier schleunigst zu verschwinden. Schnell den Kaffee leer trinken. Abgang auf leisen Sohlen. Der Fahrstuhl ächzte von oben nach unten, das konnte er sein, Moritz Klein, ins Freie treten, schauen. Dort war die Mauer, dort war das kleine Tor, das zum Meer führte. Durch, sich verbergen, warten, hören. Man brauchte gute Ohren in diesem Beruf und Vika hatte die besten Ohren, die jetzt nur auf das Geräusch der Hoteltür fixiert waren. Und nicht lange warten mussten.
     
     
    176
    Böses Erwachen, Fortsetzung
     
    Manchmal ist Glück Pech oder Pech Glück oder umgekehrt oder keins von beiden oder genau andersrum. Das war der komplette Hegel in einem Satz, doch Borsig kannte keinen Bundesligaspieler namens Hegel – und, bei Gott, er kannte sie alle. Wer mit einem solchen Gedanken erwacht, hat ein Problem. Es ist entweder jung und knackig und liegt neben einem im Bett – oder es ist ein krisenfester, gutbezahlter, durchaus angesehener Job. Scheiße, dachte Borsig. Ich hab da zwei Probleme auf einmal.
    Irmi erwachte wie schon seit Jahren mit einem Hauch von Eigelbgeschmack auf der Zunge und am Gaumen. Sie verweigerte abends grundsätzlich die intensive Zahnreinigung, wozu haut man sich das Zeug rein, wenn man nicht mit diesem Geschmack einschlafen will, wegdämmern in einer Wolke aus Alkohol und Eiern. Ein paar Minuten lang blieb sie liegen und erfreute sich am Gleichmaß der ehemaligen Küchenuhr, die nun an der Wand des Schlafzimmers ihre Zeiger im Kreis herum schob wie Herr Vettel seinen Boliden, nur viel eleganter, ruhiger, souveräner. Sie würde heute zur Bank gehen, um zu schauen, ob ihre Pension pünktlich eingetroffen war. Natürlich war sie das, aber es bereitete Irmi ein schelmisches Vergnügen, den netten jungen Bankburschen mit der Frage zu nerven, ob sich auf ihrem Konto alles ordnungsgemäß bewegt hatte, das konnte man doch von einem Bürokratenstaat erwarten, wenigstens das, und der nette junge Bankbursche würde verständnisvoll nicken und sich denken, ich zahl deine Pension, du altes Stück, aber warte mal, bis die Rentenversicherung weiter steigt, dann könnt ihr was erleben, wenn ihr dann noch lebt.
    Danach könnte man die geldlose Kommune Antonio Gramsci aufsuchen – was eigentlich pervers war. Sie, die

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