Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
Vom Netzwerk:
Problem.
     
     
    181
    Dass der Autor ein Problem hat, sein Personal einfach eingefroren ist und die Handlung nicht mehr weitertransportiert, daran ist allein die Leserin, der Leser schuld. Die Literatur wäre der reinste Spaß, wenn nur die Leserschaft nicht wäre, diese spannungsgeile Meute, die dann, wenn es zu spannend wird, zu nölen beginnt. Eine alte Frau soll ermordet werden! Eine Sympathieträgerin! Darf nicht sein! Andere hingegen mutmaßen, das sei doch alles nur heiße Autorenluft, der Schreiberling werde es nicht wagen, die nette Irmi mit einem „Plopp“ aus der Story zu befördern, wo doch der Eierlikör so etwas wie der rote Faden ist, der die Geschichte zusammenhält, nein, eigentlich die gelbe Pampe, die alles zu einer sinnhaften Handlung verklebt – oops, sofort aufhören mit diesem Satz, er wird zu lang und die Rezensentin der „Saarbrücker Zeitung“ wird wieder überfordert sein.
    Der Autor tigert durch sein Arbeitszimmer. Müsste auch mal wieder aufgeräumt werden. Sieht hier aus wie im Kopf des Schmierfinks, wo die Ideen umeinander liegen wie dreckige Socken, leere Pizzaverpackungen, Zettelchen mit Zitaten aus anderer Leute Bücher, die bald Zitate aus den Büchern des Autors werden sollen, scheiß aufs Plagiat. Er verlässt den Raum, betritt die Küche, in der Oxana starr vor ihrem Kaffee sitzt, die Hand schon an der Tasse. Oxana ist aus Stein, scheint es, der Autor streichelt ihr zärtlich und in lauterer Absicht über das lange schwarze Haar. Sein Geschöpf. Eine lesbische Kasachin, so etwas gab es noch nicht in der Kriminalliteratur. Soll ihm erst mal einer nachmachen. Recht mysteriös, woher kennt sie diese Vika? Das fragt sich pikanterweise der Autor jetzt auch, er weiß es nämlich noch nicht. Vika, die ebenfalls versteinert ("petrifiziert?“ Der Autor kaut das Wort gedankenverloren durch, nein, „versteinert“ ist besser, sonst kommt wieder einer mit dem Fremdwörterduden und greint) vor einer dubiosen bretonischen Firma herumwartet, weil vor dieser dubiosen bretonischen Firma Herr Moritz Klein herumwartet und auch nicht weiß, warum, so wenig wie irgendein Mensch auf diesem Planeten, der Autor inklusive, irgend eine Ahnung hat, wie das noch weitergehen soll. Klein denkt an Hermine (immer das Beste, das macht den Kerl bei den Leserinnen sympathisch), die in einem Aufenthaltsraum von ALDI herumwartet und auch nicht weiß, wie es weitergehen soll. Irmi sterben lassen oder nicht? Was meinst du, Leserin, Leser? Schweigen. Wenn man sie mal braucht, sind sie natürlich nicht da, die Herrschaften, hängen irgendwo ab, backen Kuchen, bearbeiten Akten, shoppen oder warten auf den nächsten Superthriller aus der Feder von Herrn, Frau XY.
    So, sagt der Autor, und geht zurück an seinen Arbeitsplatz. Hilft ja alles nichts. Für das Denken wird man in diesem Beruf nicht bezahlt, nur für das Schreiben – und beides hat erschreckend wenig miteinander zu tun. Als erste löst er Hermine aus ihrer Erstarrung, sie reibt sich die Augen, trinkt den letzten, längst erkalteten Schluck Kaffee, ruft ihrer Kollegin Simone „Ich hätte grad Lust, von einem hübschen Mann sexuell belästigt zu werden“ zu, Simone kreischt lüstern und ordinär, ja, das habe sie immer, aber die hübschen Männer kauften halt nur bei NETTO und PLUS.
    Auch Oxana bewegt sich wieder. Trinkt. Steht auf. Sagt sich: so. Sie geht, am Dichterstübchen vorbei, wo es verdächtig still geworden ist, zu Sonjas Schlafzimmer, öffnet die Tür, sieht der immer noch Schlafenden ins unruhige, von einer Haarinvasion halb eroberte Gesicht. Sie wird sie gleich wecken.
    Wecken. Vika erwacht aus ihrer Langeweile, etwas tut sich, ein Wagen kommt angefahren, bremst vor dem Tor zur Firma ab. Moritz Klein löst sich von der Wand und tut so, als ginge ihn alles nichts an. Der Junge hat keinen Plan, denkt Vika und schüttelt den Kopf.
    Auch in Irmis Schlafzimmer schüttelt Jonny den Kopf. Er nimmt die Pistole mit dem Schalldämpfer vom Tablett und sagt bedächtig: „Kennt die deutsche Sprache eigentlich das Wort ‚Henkersfrühstück’?“ Jonny lacht und sagt: „Nö. Oder?“ Der Dichter lacht nicht. Es muss weitergehen. Weg mit der Alten oder Gnadenfrist. Mal schauen.
     
     
    182
    Mädchen sind mutiger als Männer
     
    Dem Wagen, der auf das Tor der Firma „Jean-Pierre Pacques & Cie. – Marchandises“ zugefahren und davor zum Stehen gekommen war, entstieg ein dunkelhäutiger Beifahrer, Anfang 30, groß, muskulös. Er ging auf Moritz zu,

Weitere Kostenlose Bücher