Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Bett. Sonja Weber schlief, sie schnarchte sogar ein wenig. Der Dichter und seine Muse hatten die Tür ganz vorsichtig geöffnet, waren einen Schritt eingetreten, sahen auf die Schlafende. Auf Zehenspitzen gingen sie dann hinaus, Marxer schloss die Tür. „Wie ist sie überhaupt ins Haus gekommen?“ fragte Oxana. „Weiß nicht. Ja, doch, ich hab ihr mal einen Schlüssel gegeben – oder nicht? Egal.“
Der Dichter war nervös, neben der Kappe, Oxana merkte es sofort. Warten gehörte nicht zu seinen Stärken, er murmelte etwas wie „Muss nachdenken“ und verschwand Richtung Arbeitszimmer. Oxana setzte sich an den Küchentisch, trank Kaffee und wartete.
Warten. Nichtstun. Sagt man so. Aber genau darin bestand Vikas Arbeit, was sich nicht sehr spannend anhörte, es aber durchaus sein konnte. Jedenfalls redete sie sich das ein. Moritz Klein hatte die ummauerte Stadt hinter sich gelassen, den unansehnlichen Teil von St. Malo erreicht, ein Industriegebiet. Aha, die Firma, genau. Was würde er tun? Warten, natürlich. Er postierte sich in der Nähe des Eingangs, unbekümmert, ob man ihn entdeckte oder nicht. Ungeeignet für den Job, dachte Vika und suchte sich ein einigermaßen windgeschütztes Plätzchen zwischen zwei Müllcontainern. Warten konnte sie. Das hatte sie gelernt.
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Überlegenswerte Gedankengänge eines Killers
Zu warten hatte sie nie gelernt. Wo denn auch, warum denn auch. Immer alles gleich und sofort oder gar nicht. Einer der beiden Eindringlinge – Jonny hieß er wohl – hatte sich auf den Bettrand gesetzt, sah zu, wie sie zu zittern begann. Leicht, aber sie zitterte, er merkte das und lächelte. „Würdest du bitte in die Küche gehen und Kaffee kochen, Bernie?“ Der harrte noch immer in Türnähe aus und hielt jetzt eine Tüte hoch, Irmi hatte sie bisher gar nicht wahrgenommen, obwohl sie schwerlich zu übersehen war, eine Tüte aus der Bäckerei um die Ecke, prall gefüllt. „Aber natürlich, Jonny. Und schön mit Brötchen und Marmelade, Muttchen, ne? Glück für dich, dass dein Brotdealer schon offen hatte.“ Er drehte sich um und verschwand.
Überleg mal, Irmi. Das sind die Jungs, die dem armen Moritz so eingeheizt haben. Zuerst die Knarre ins Maul und dann nen Haufen Zaster, damit er selbiges Maul hält. Oder so ähnlich. Beruhigt dich das? Nö. Bei Moritz waren sie brutal und am Ende löste sich alles mehr oder weniger in Wohlgefallen auf. Bei dir starten sie auf die nette Tour und werden logischerweise... nicht drüber nachdenken jetzt, Irmi. Du bist in Gottes Hand, das heißt: Gib dir einen Ruck und vergiss für ein paar Minuten deine atheistische Lebenseinstellung. Wenn es Gott gibt, dann aber jetzt. Wann sonst?
„Werden Sie mich umbringen?“ Die Frage hatte rausgemusst, keine Ahnung, ob das nun strategisch klug war oder nicht. Jonny schien erschüttert. Er beugte sich etwas vor, überlegte, Irmis Beine beruhigend zu streicheln, verkniff es sich aber. „Umbringen?“ Es klang ungläubig, was jetzt nichts mit Atheismus zu tun hatte. „Das ist ein so endgültiges Wort. Und kulturell natürlich vorbelastet, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Natürlich gestatten Sie. Sie, eine hochgebildete Frau, eine Intellektuelle, wenn ich so sagen darf. Mit Ihnen kann man auch über solche Dinge reden wie den Mord als conditio sine qua non, also das, was man bei Realschülern eine notwendige Vorbedingung für etwas nennen müsste.“
Irmi verstand kein Wort, obwohl sie jedes Wort verstand und vielleicht lag in dieser Feststellung der Schlüssel zu allem menschlichen Elend. Sie hörte, wie in der Küche die Kaffeemaschine mit ihrer stupiden und entfremdeten Arbeit begann, heißes Wasser zu produzieren und über Kaffeepulver auszugießen. Bernie, wer sonst, hantierte mit Geschirr, womit er wenig Erfahrung hatte, es klirrte haarscharf an der Katastrophe eines Scherbengerichts vorbei. Jonny suchte in seiner Jackentasche nach irgendetwas, fand es schließlich, so ein schwarzes Ding, Irmi erinnerte sich, dass man es iPod nannte und Jonny betätigte es sofort.
„Das ist ein iPod, gnädige Frau, haben Sie vielleicht schon mal gesehen. Kultobjekt, ein Must-Have des modernen Menschen. Klingt schön, ja? So ganz harmlos und easy und eventmäßig und gar nicht nach – Mord, diesem unschönen, verpönten Wort? Aber wissen Sie um die Arbeitsbedingungen der Menschen, die dieses Gerät bauen? Wissen Sie, dass diese Arbeitsbedingungen dermaßen schlecht sind, dass viele der fleißigen
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