Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
vorkommt.
Oxana hatte er schon nackt gesehen, noch nie aber in Aktion. Da war sie furchtbar katholisch, hegte eine geradezu lächerlich kleinbürgerliche Moral. Dabei war es der Traum eines jeden Mannes, zwei Frauen beim Sex zu beobachten. Vielleicht tat er das gerade. Akustisch und halt nur vielleicht, das war der besondere Reiz, der Kick, der ihn veranlassen würde, bei Facebook auf „Gefällt mir“ zu klicken. Nichts Genaues wissen, es sich im wahrsten Sinne des Wortes zusammenreimen, so entstehen Verschwörungstheorien.
Marxer lauschte angestrengt. Oxanas gutturales Organ, sie lachte auf und Sonja gab ein Geräusch von sich, das man als Stöhnen interpretieren konnte. Worüber sprachen sie? Was taten sie, während sie sprachen? Warum war Oxana überhaupt in Sonjas Zimmer geschlichen, hatte diese geweckt – und wie? Eine zärtliche Berührung, gar ein sanfter Kuss auf die Brustwarze? Verschwörungstheorie. Was führte Oxana im Schilde? Hatte nicht sie begeistert genickt, als ihr Marxer seine Idee von dem Privatdetektiv wider Willen vorgetragen hatte? Ein Plot, der seit Jugendzeiten in seinem Gehirn nistete, völliges Neuland für das Genre. Jemand erwacht nach durchzechter Nacht, seine „Freunde“ haben ein Schild „Privatdetektiv“ angefertigt und neben seinen Hauseingang gehängt – und bevor der Düpierte erkennt, dass man ihm übel mitspielt, steht auch schon die erste Klientin auf der Matte.
Hm, gut, das hatten sie nicht vorhersehen können. Kein Problem, Lüdemann, Inhaber von „Beschriftungen aller Art“ zu überreden, das böse Spiel mitzumachen. „Den übernehme ich“, hatte Oxana gelacht. Aber Sonja Webers Erscheinen? Zufall? Ein Gottesurteil? Oder steckte doch Oxana hinter alledem, dirigierte im Verborgenen, Sonja ihre Komplizin? Doch wozu? Verschwörungstheorie. Ehemalige Sowjetunion, internationaler Finanzmarkt, die Chinesen nicht weit (gemeinsame Grenze mit Kasachstan!), gelbe Gefahr, Weltherrschaft der Asiaten, siehe FDP, siehe European Songcontest, wo Aserbaidschan mit einer Tüte Schmalz gewonnen hatte. Und war nicht jüngst Dominique Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds, wegen angeblicher versuchter Vergewaltigung festgenommen worden? Wie vor ihm schon Julian Assange von Wikileaks und Jörg Kachelmann vom Wetterbericht? Alles Zufall? Hing nicht miteinander zusammen? Ok, was Kachelmann damit zu tun hatte, erschloss sich Marxer auf die Schnelle nicht. Vielleicht ein Ablenkungsmanöver. Passte.
Mein Gott, raschelte da die Bettwäsche? War ganz deutlich zu hören. Und jetzt war es eindeutig Stöhnen, was von jenseits der Tür süß und belebend in Marxers Ohr kroch. Sie trieben es miteinander. Noch ein wenig zuhören und dann aufschreiben. Literatur, das war eben Orgasmus auf andere Art. Nichts weiter.
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Ein Abgrund an Verschwörung
Die offene Tasche locker über der linken Schulter, damit die rechte Hand, falls es nötig werden sollte, in einer einzigen schnellen Bewegung hingreifen und die Waffe herausziehen konnte. Das ging so schnell, dass Vikas Gegner sofort nach einer Wiederholung in Zeitlupe verlangten. So betrat sie eine Art schäbig möbliertes Foyer, von dessen Decke eine defekte Neonröhre unrhythmisch zuckte, hell, dunkel, hell, dunkel. Zu sehen war niemand, zu hören auch nicht. Rasch orientierte sich Vika – es führten zwei Türen aus dem Foyer, sie wählte die rechte, weil man durch sie in den hinteren Teil des Gebäudes gelangte, hinter der anderen, der linken, wartete wohl das Treppenhaus.
Vorsichtig einen Spalt breit öffnen, schauen. Ein Mittelgebirge von Kartons, sauber gestapelt, verschiedene Größen, auch hier defektes Neonlicht, das chaotisch Zeichen verschickte, die man nicht lesen konnte. Spuren der Anwesenheit von Menschen? Keine. Also hinein, sich umgucken, lauschen. Von der Rückwand des Raumes kamen Geräusche, es wurde gesprochen. Vika zog die Waffe aus der Handtasche, sie wog schwer und sicher. Schritt für Schritt, ganz vorsichtig der Wand zu, der Tür darin. Immer wieder stehen bleiben, sich umdrehen, lauschen. Professionell.
Völlig unprofessionell! Chefchen hatte ein rotes Köpfchen. Das würde doch auf ihn zurückfallen! Auf seine Karriere! Damit war er praktisch im oder am Arsch, die Familienplanung konnte er aufstecken, Hartz IV drohte, wenn das rauskam! Er sah sich um, wütend, bestialisch, animalisch. Da standen sie, die Kisten, ein Mount Everest der Schlamperei, ach was, Schlamperei! Das war Absicht, das
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