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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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vage, rational nicht zu erklärende Sympathie empfand. Ein ebenso intelligenter wie blasser junger Mann, leicht lenkbar und sehr süß, wenn er rot wurde. Die Kanzlerin lächelte. Sie umgab sich gerne mit jungen Männern, die alten hatte sie fürchten gelernt, diese Intriganten.
    Frühstücken. Der Frühstücksbeauftragte der Bundesregierung, ein in Ehren ergrauter Oberregierungsrat, hatte im Pausenraum liebevoll gedeckt, zwei frische Brötchen, eine Portion Butter und einen Klecks Himbeermarmelade, Kaffee und Original Berner Müsli, auf den Orangensaft hatte die Kanzlerin medienwirksam verzichtet, nachdem sie erfahren hatte, dass er in Bangladesch von zarten Kinderhänden ausgepresst wurde. Sie machte sich sowieso nicht viel aus Säften.
    Frühstücken war Nahrungsaufnahme, ein Ritual. Das zweite folgte: Die Handtasche wurde für den bevorstehenden Arbeitstag gepackt. Eine Rolle Pfefferminzbonbons, drei Handys, das Spitzentaschentuch, dessen Nachteil es war, niemals benutzt werden zu dürfen, weil es beim ersten Waschen seine perfekte Form verlieren würde, der kleine weiche Talisman, dem früheren DDR-Sandmännchen nachempfunden, zwei Aspirin, vier Alka Seltzer, ein Band Rilke, „Lebensweisheiten in Reimform“ und, am wichtigsten, die aktualisierte Handakte „Finanzkrise 2011, die Höhepunkte“. Sie stand auf und ging in den News Room.
    Dort hockten rund um die Uhr Redakteure und Rechercheure, junge, prächtig ausgebildete Menschen, Männer wie Frauen, allesamt hübsch und adrett. Man konnte sie ruhigen Gewissens über Nacht in einen fensterlosen Raum sperren, es kam nicht zu sexuellen Exzessen, wie es sonst üblich war. Diese Menschen waren ganz Job, sie funktionierten, sie hatten nie etwas anderes gelernt, sie würden ihre Kinder versehentlich im Urlaub zeugen, wenn das Animationsprogramm zu langweilig war und Sex als vorübergehende Alternative dazu in Betracht kam.
    An diesem Morgen lag ein Hauch von Aufregung in der Luft. Unruhige Blicke wurden gewechselt, weiße Hemdkragen waren schweißnass, Karrierebeamtinnen hatten ihre Highheels ausgezogen und wühlten mit blanken Zehen den abgelatschten Teppichboden auf. Man beachtete die Kanzlerin, die soeben den Raum betreten hatte, nicht. Man starrte auf die Monitore. Eine gigantische Rauchwolke stieg in den Himmel. Die Kanzlerin beugte sich über die Schulter einer Rechercheurin, hörte deren unregelmäßigen Atem, fragte: „Was ist passiert?“
    Die Rechercheurin drehte sich nicht um, antwortete nach längerem Zögern: „Island. Zuerst hielten wir es wieder für einen dieser Vulkanausbrüche. Bis eine Aufklärungsdrohne der NATO bessere Bilder lieferte. Es brennt. Die haben dort einen riesigen Scheiterhaufen errichtet und fackeln den ab. Sie verbrennen Geldscheine.“
    Der Kanzlerin wurde flau im Magen. Sie brauchte ein zweites Frühstück.
     
     
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    „Nach uns wird kein Hahn krähen.“ Marxer sagte es in einem Ton tiefer Resignation und biss in das Vortagsbrötchen, belegt mit Vorjahreskäse, der langsam schon ins Schwitzen zu kommen schien. „Keine Depriphase jetzt bitte“, wünschte sich Oxana, aber wirklich glücklich kam auch sie nicht rüber.
    Das Ultimatum war längst abgelaufen, als wir uns am Morgen um den Stammtisch versammelt hatten. „Hier riechts komisch“, sagte Katharina und schnüffelte demonstrativ. „Die Kurzen und ich sind uns einig, dass die Bullen uns mit Betäubungsgas außer Gefecht setzen und dann auf eine einsame Insel verfrachten.“ Wir schnüffelten ebenfalls, rochen aber nichts. „Na, das Gas ist wahrscheinlich geruchlos“, differenzierte Jonas. Seine Mutter machte „Schnüss, hört auf mit euren Verschwörungstheorien“, doch so ganz beruhigte uns das nicht. Wir waren auf alles gefasst.
    „Wir müssen was tun“, meldete sich Nancy, die gigantische Bildhauerin und ließ ihre Muskeln spielen. „Ich bin dafür, einfach rauszugehen und die Jungs aufzumischen. Irgendwelche besseren Vorschläge?“ Schweigen. „Wir könnten versuchen, über die Hinterhöfe abzuhauen“, sagte ich schließlich. Wusste aber im selben Moment, dass dies wohl kaum möglich sein würde. Die Staatsgewalt hatte uns inzwischen umstellt, wahrscheinlich standen ein paar von den Jungs direkt vor der Hintertür.
    „Einfach abwarten“, schlug Borsig vor. „Ich meine... ey, die haben hier ne Hundertschaft oder so postiert, wisst ihr, was das kostet? Wenn die nur, sagen wir mal, 10 Euro Mindestlohn die Stunde kriegen, dann kostet das den

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