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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Schnauze von der Verarschung voll hatten. Bilder eines isländischen Vulkanausbruchs, aber das sah nicht nach Vulkan aus, da musste etwas anderes dahinterstecken, man log sie mal wieder an. „Leute, ich hab ne Idee“, murmelte Hasenkamp und ließ die Zähne seines Oberkiefers spielerisch auf und ab klacken.
    OCCUPY BAUERNSCHENKE! So ungefähr. Da lief doch schon wieder eine Sauerei! Warum sollten sie nicht mehr in die Kneipe dürfen? Weil dort gerade das Grundgesetz gebrochen wurde! Genaues wusste er nicht, aber war so. Sie würden es sich nicht länger bieten lassen. Auch Rentner hatten ein Recht auf Rausch, auf virtuellen Sex, wie es heutzutage hieß.
    Er brauchte die anderen nicht lange zu überzeugen, sie waren sofort Feuer und Flamme. Alle. Einhundertzweiundzwanzig Abgeschobene zwischen 68 und 97, neunundachtzig von ihnen noch durchaus mobil, als Einzelne schwach, als Masse aber stark. Sie suchten die Hobbyräume auf. Schwester Gertraud, die sich ihnen in den Weg stellen wollte, wurde kurzerhand überwältigt, gefesselt und in die Besenkammer gesperrt. Dann begannen sie mit dem Basteln. Transparente, auf denen ihre Forderungen schwarz auf weiß formuliert waren. FREIHEIT FÜR DIE ALTEN! WEG MIT DEM PFLEGENOTSTAND! BILLIGES BIER FÜR SENIOREN! MEHR ITALIENISCHE SOFTPORNOS IM VORABENDPROGRAMM! MEHR KNACKIGE PRAKTIKANTINNEN! EURO WEG UND D-MARK HER!
    Am Morgen nach einer Nacht ohne Schlaf. Sie waren nicht müde, sie nahmen ihre Tabletten nicht, sie schissen auf Blutdruck und Tranquilizer. Frühstücken. Das gesamte Pflegepersonal ausschalten. Ab in die Besenkammer zu Schwester Gertraud. FREIE REPUBIK SANKT BONIFAZIUS STIFT! OCCUPY! Spontane Bildung einer „Kommune 1“, erste diskrete Versuche in freier Liebe. Und dann: Abmarsch! Ein wütender Pulk erhitzter Rentnerinnen und Rentner auf dem Weg zur „Bauernschenke“. Pfefferspray, Regenschirme, Spazierstöcke und einen Pott mit heißem Haferschleim. Bis an die dritten Zähne bewaffnet.
     
     
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    Vika konnte sich nicht erinnern, schon einmal so schlecht gegessen zu haben wie bei Belinda. Die Pizza war gleichzeitig noch nicht richtig heiß und angebrannt, die Tomatensoße schmeckte nach Käseersatz und der Käseersatz nach Dönergewürz. Der Teig war 1989 von freudetrunkenen Ostberlinern aus der Mauer geschnitten worden, die Salamischeiben machten es leicht, den sofortigen Austritt Italiens aus dem Euroraum zu fordern. „Und?“ fragte Belinda? „Lecker“, antwortete Vika.
    Es war ein Abschiedsessen. Ihre Wege, die sich gerade eben gekreuzt hatten, würden sich nun für immer trennen. Schade, dachte Vika, gut so, dachte Vika. Gab eh schon viel zu viele Personen in diesem Trauerspiel. Sie küssten sich auf die Wangen, schenkten einander noch ein paar Blicke, dann stand Vika auf der Straße, es war nicht weit zu ihrem Hotel, sie wollte laufen, den Kopf frei bekommen.
    Im Zimmer suchte sie nach ihrer Waffe, fand sie, vergewisserte sich ihres ordnungsgemäßen Zustandes, steckte sie ein. Bestellte sich ein Taxi, fuhr zu Mareikes Wohnung, klingelte keck, nichts tat sich, wie erwartet. Ausgeflogen, dachte Vika. Ich muss hier auch weg. Ein zweites Taxi brachte sie zurück zum Hotel, sie checkte aus, ein drittes Taxi fuhr sie zum Hafen. Zwei Stunden später saß sie auf der letzten Fähre nach St. Malo, die Küste Jerseys verschwand in einer Nebelbank.
     
    *
     
     
    Unfassbar! Es waren nicht nur alte, wie Oxana berichtete, die sich aus dem Fenster lehnte und die Straße hinuntersah, auf der sich eine Masse Mensch laut schreiend und mit hochgereckten Transparenten näherte. Auf ihrem Weg hatten die Senioren zufällige Passanten jeglichen Alters begeistern können, eine Gruppe Schulkinder etwa, froh darüber, etwas Sinnvolleres tun zu können als in einer Schule dem ineffizienten Bildungssystem ausgesetzt zu sein. Zwei mittelalte Hausfrauen, die von der Verlockung einer bürgerlichen Revolution angezogen worden waren. Studenten, die Dutschke für ein Alternativwort zu Droschke hielten. Eine Wand, aus deren Vielmündern es rauchte. Eine Kette aus Polizisten versperrte die Straße, wich langsam zurück, wartete auf Wasserwerfer oder den Befehl, die Schlagstöcke tanzen zu lassen. Wozu hatte man die Dinger sonst.
    Der Entschluss kam spontan, Oxana und ich fassten ihn gleichzeitig. Wir sahen uns an, nickten uns zu. „Wir hauen jetzt unauffällig ab, die Bullen sind gerade so schön beschäftigt“, sagte Oxana. „Wohin?“ wollte Marxer wissen. „Wird uns schon

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