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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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inzwischen sind alle Sachwerte bei den Banken und so weiter, die Armen sind noch ärmer etc. Böses Spiel also – und die Landkommune glaubt es unbesehen, man weiß ja, wie die Mächtigen ticken. Aber dem gegenüber: Eine private Gruppe von Idealisten, die aus reiner Menschenfreundlichkeit die Pläne der Staaten und ihrer Büttel durchkreuzen will, echten sozialen Tauschhandel... Tja. Und er, Schnüffel, natürlich einer von den Guten. Alles streng geheim, aber klar: Die Bösen schlafen nicht. Sie sind den Guten auf den Fersen, wollen sie ausschalten. Sie haben ihre Spitzel... Kurz und gut: Schnüffel hat leichtes Spiel mit den naiven Kommunarden. Und dann tauche ich auf. Ganz klar, was ich für eine bin: eine Böse.“
     
     
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    Sie hätte Physikerin bleiben sollen. Vielleicht hätte sie es ja zur Professorin geschafft, nach der Wende, politisch gab es ja nichts, was man ihr ankreiden konnte. FDJ und so, okay, aber das zählte nicht. Oder die DDR hätte die DDR bleiben sollen. Nein, das war ein ungehöriger Gedanke. Aber alles war so sicher gewesen, so vorbestimmt. Und nun? Ein aufgeregter älterer Herr im Rollstuhl, der sie umrundete, als sei sie der kümmerliche Rest eines Siedlertracks und er selbst eine Horde wilder Indianer. Er soll damit aufhören, dachte sie. Verstand sie langsam alles nicht mehr, zu kompliziert, zu abstrakt, so hatte sich doch kein Mensch den Kapitalismus vorgestellt.
    Der Mann im Rollstuhl führt Selbstgespräche, während er den Schreibtisch der Kanzlerin auf quietschenden Hartgummireifen umkreist. Sie bemüht sich, nicht hinzuhören, so zu tun, als sei sie mit einer Gesetzesvorlage beschäftigt, illegaler Download von Musikdateien als Kapitalverbrechen, kommt gut, lenkt ab, verschafft Luft. Aber sie hört natürlich, was er vor sich hin flucht. Eliminieren, vom Erdboden vertilgen den ganzen Scheiß, solche schlimmen Sachen sagt dieser doch eigentlich sehr gebildete Mensch. Sie schüttelt leicht den Kopf, lächelt in sich hinein. Sie ist Physikerin, sie weiß, dass man nichts wirklich vom Erdboden vertilgen kann, dass alles auf ewig bleibt, wenngleich in einem anderen Energiezustand. Das nennt man Entropie, das ist Thermodynamik, das weiß der Mann im Rollstuhl aber nicht, aber sie weiß es, deshalb ist sie ja Bundeskanzlerin und nicht er Bundeskanzler. Deshalb lächelt sie jetzt auch.
    Wenn sie nicht gleich zu grinsen aufhört, schicke ich sie zurück nach Mecklenburg-Vorpommern, denkt der Mann im Rollstuhl. Das ist quasi wie vom Erdboden vertilgt, nur noch besser. Sie denkt, ich wüsste nicht, was Entropie ist – und sie hat Recht. Ich weiß nicht, was das ist und also gibt es das nicht. Ich weiß nur, dass ungeheure Schlampereien ablaufen, dass das Volk wieder einmal nichts kapiert. In Ordnung. Die Sache in Griechenland, die Sache in Italien: sehr gut. Demokratisch gewählte Regierungen weggefegt, durch Technokraten ersetzt. Rettungsschirm installiert. Bringt nichts, aber verschafft Zeit. Nur: Wer verschafft uns einen Rettungsschirm gegen die Dummheit, die Hosenscheißermoral des Volkes? Zu blöd, die großen, die gewaltigen Dinge zu erkennen, die auf uns zu kommen! Hallo? Wir schreiben gerade Geschichte!
    Früher hat sie viel Westfernsehen geguckt. Sie wusste natürlich, dass die BRD kein Schlaraffenland war. Sie erwartete es nicht, es wäre ihr langweilig gewesen. Aber SO? Hatten sie den Sozialismus in den Orkus gekickt, damit sie selbst in einem langsam, aber mit Karacho sterbenden Kapitalismus landeten? War das der Preis für die 100 Mark Begrüßungsgeld? Mark! Nicht Euro! Schon da sind wir doch beschissen worden. Ihre für einen Moment aufgeflackerte gute Laune verfliegt umgehend. Und könnte dieser Kerl nicht aufhören, mich zu umrunden als wäre ich seine Sonne? Auf seinen quietschenden Reifen? Selbstgespräche führend?
    Pfusch. Er hasste Pfusch, hatte ihn immer gehasst. Zwei bewährte Kräfte waren auf den Verräter angesetzt worden und hatten schmählich versagt. Von einem dicken alten Mann lässig ausgehebelt, einem dicken, alten Mann, den kein Mensch kannte oder zu kennen vorgab. Was war das? Operierten die Dienste wieder einmal gegeneinander? War der dicke, alte Mann ein V-Mann der Gegenseite? Sie wussten es nicht! Wussten es einfach nicht! Er wurde müde. Das Drehen der Rollstuhlräder strengte ihn an, der Jüngste war er auch nicht mehr.
    Endlich. Er hat aufgehört. Der Rollstuhl steht still, der Mund auch. Vom Erdboden vertilgt, hihi. Jetzt denkt er. Andere

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