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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Energieform, Entropie. Gleich wird er mich ansprechen und mir etwas vorschlagen. Ich werde natürlich annehmen. Tue ich immer. Das ist mein Trick. Deshalb bin ich keine Physikerin mehr. Ich bin Bundeskanzlerin, das ist aber auch nur eine andere Energieform. Hihi.
     
     
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    Was für einen Mist er wieder träumte! Marxer gehörte zu den Menschen, die genau wussten, dass sie träumten, wenn sie gerade träumten. Im Allgemeinen träumte er gerne, denn das wirre Spiel der Synapsen ließ sich wunderbar ausbeuten, ein Bergwerk für abstruse Gedanken, die dann zu ebenso abstrusen, sprich gutverkäuflichen Romanen zusammengefügt werden konnten. Aber irgendwo hörte es auf, jetzt zum Beispiel. Er träumte tatsächlich von Moritz Klein, einen Geschlechtsakt vollziehend, und das nicht einmal so schlecht. Er träumte des Weiteren von der Bundeskanzlerin, was immer ein potentieller Albtraum sein musste, jetzt jedoch ein besonders fürchterlicher war, denn die Bundeskanzlerin ordnete an, IHN, Marxer, sofort vom Erdboden zu vertilgen. Er träumte auch – Höhepunkt des Irrsinns – von Sonja Weber, die in den Armen Kriesling-Schönefärbs lag, nicht schlief, sondern mit offenen Augen nachdachte. Was sie dachte, träumte er leider nicht.
    Nein, kein schöner Traum. Wach auf, Alter, du weißt doch, dass du träumst. Warum tust du dir das an? Vorsichtig löst sich Sonja Weber aus der Umarmung des Liebhabers, stand auf, ging zum Kleiderschrank, öffnete diesen ohne eine Geräusch zu produzieren, entnahm ihm einen weißen Seidenschal, fasste ihn mit beiden Händen, wirbelte ihn zu einem dünnen Strang, ging zurück... Nein, dachte Marxer, es wird echt Zeit, aufzuwachen. Wieviel Uhr könnte es sein? Halb drei? Viertel vor sechs? Spielte keine Rolle. Dieser Traum war absurd, das wusste er, lieber schlaflos ein paar Runden durch das Zimmer drehen, den Computer hochfahren, die Mails checken, einen Sexchat besuchen. Alles besser als das: Sonja Weber legt die Schlinge um den Hals des Schlafenden, der merkt nichts, der träumt wohl, etwas sehr Schönes wahrscheinlich. Gleich werden die Hände Sonja Webers ein junges, hoffnungsvolles Leben beenden. Aufwachen! Marxer! Kriesling-Schönefärb!
    Aber jetzt mal in aller Ruhe. Was kann schon passieren? Kriesling-Schönefärb gehört zu den Guten, die Guten müssen überleben, jedenfalls in den Kriminalromanen Marxers. Identifikationsfiguren, der ganze Scheiß. Du träumst nur. Und jetzt wach auf, okay? Koch dir einen Kaffee, es ist halb sieben.
    Es war halb fünf. Marxer kochte sich einen Kaffee, schlich sich zu Oxanas Zimmer, legte das Ohr an die Tür. Jemand schnarchte, aber nicht Oxana. Vika. Marxer schlich zurück. Sollten sie doch. Er würde davon träumen, ganz sicher.
    Er dachte noch einmal an den Abend, als Oxana und Vika nach Hause gekommen waren und von ihrem Besuch bei Irmi berichtet hatten. Dem immer noch verwirrten Konrad war von der alten Dame entlockt worden, eine Horde Maskierter habe die friedlich beim Frühstück sitzende Kommune samt Schnüffel überfallen, mit Waffengewalt gezwungen, ihr zu folgen, nur ihm, Konrad, sei die Flucht gelungen, trotz eines heftigen Schlages auf den Kopf, durch die Hintertür halt. „Die Schergen unserer faschistischen Politikerclique und vom ökonomisch-militärischen Komplex“, so der Entkommene.
    Es war zu spät, wieder ins Bett zu gehen, noch eine Runde zu träumen. Es wäre gewiss die Fortsetzung jenes Albtraums, vor dem er geflüchtet war. Marxer setzte sich an seinen Schreibtisch, schrieb mit dem Füllfederhalter ein paar uninspirierte Sätze, also druckreif. Ein Handy klingelte, nicht seins. Oxanas, die kasachische Nationalhymne. Zwanzig vor sechs. Kurz darauf ging eine Tür, eilige Schritte von Barfüßen, sie kamen näher. Oxanas Kopf, der in Marxers Arbeitszimmer gestreckt wurde.
    „Vika und ich müssen gleich weg. Es ist etwas passiert.“ Marxer runzelte die Stirn. „Passiert? Was?“ „Gerade hat Sonja angerufen. Kriesling-Schönefärb ist verschwunden. Einfach nicht mehr da. Deinen Kaffee kannst dir selber kochen, okay?“ Und weg war sie.
    Gibt es jetzt nicht, dachte Marxer. War doch nur ein Traum. Warum sollte sie... darf sie doch gar nicht. Aber Sonja Weber schien nichts von Kriminalromanen und ihren Gesetzen zu verstehen.
     
     
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    Ich fühlte mich wie gerädert. Aufs Rad geflochten, sagte man früher, was etwas romantischer klang als es in Wirklichkeit war und gewöhnlich nahtlos in eine zünftige Vierteilung überging,

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