Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
schon erfüllt. Nickte nur. Umschauen? Seinetwegen. Mein Gott, war der Kerl zäh!
„Meine Spezialität sind ja eigentlich Akte in Öl“, log Borsig und begutachtete das Gerippe eines Ford Fiesta. „Aber kannst ja heutzutage von ehrlicher Arbeit nicht mehr leben. Mach ich's halt nebenbei. Paar äh Liebhaber gibt’s dafür ja Gott sei Dank noch. Und genügend blutjunge Mädels, die sich malen lassen wollen, wie eben dieser Gott sie schuf, auch.“ Aha! In die Augen des Karnevalisten und Schrottkönigs trat so etwas wie dieser gewisse Glanz der lüsternen Neugier. Hab dich, Kerlchen. „So, so“, sagte er, „blutjunge Mädels malst du. Nackt, hm. Da balancierst aber auf einem dünnen Seil, mein Lieber.“ Borsig seufzte. „Wem sagst du das! Unsere Gesellschaft ist prüde geworden, kein Vergleich mehr zu früher. Sogar der Günther, dein Cousin, ist immer angerötet, wenn er mich mal besucht hat.“ Karl-Heinz stieg eine Menge Luft durch den Mund ins Freie. „Der hat dich besucht, wenn du gerade... Ha! Der Günther stand auf Frauen jenseits der Dreißig, das ist doch wie Autos jenseits der Zehn! Kriegste nur noch mit Auflagen über den TÜV, neue Brüste, was gegen Orangenhaut, Hirn generalüberholt. Kein Wunder, dass so einer rot wird, wenn er mal mit wahrer Schönheit konfrontiert wird.“
„Tja“, sagte Borsig wieder. „Du weißt ja, wie neugierig der immer war. Hat immer gerne gelauscht, der Bursche."Davon kann ich ein Liedchen singen“, sang Karl-Heinz. „Konnte einem schon lästig werden. Willstn Kaffee?“
Sie schlenderten zur Bürobaracke, einer hellgrün getünchten Blechscheußlichkeit am Rande der Schrottberge. Wenigstens warm war es dort, nein, heiß war es, so heiß, dass das Mädchen vor dem Computer nur T-Shirt und Bermudashorts trug. „Mach mal Kaffee, Süße“, zirpte Karl-Heinz und, leiser, zu Borsig: „Als persönliche Assistentin der Geschäftsleitung ist sie rein jobmäßig eine Lusche. Sonst aber durchaus brauchbar.“ Petzauge. „Na, mit 17 halt noch ausbaufähig.“ Borsig griente und nickt kennerös. „Aber mit 18 ist sie mir zu alt, dann mach ich Ersatzbeschaffung. Komm hier rein, da können wir ungestört reden.“
Päderastengespräche, dachte Borsig. Er fühlte sich unwohl. Sagte aber: „Tja, mit 14 oder 15 sind sie irgendwie auf dem Höhepunkt ihrer erotischen Ausstrahlung, sag ich immer. Von da an geht’s bergab.“ Karl-Heinz nickte betrübt. „Ballettmäuschen. Ich werde rasend bei denen. So 12, 13. Und die malst du nackt?“
„Tja“, sagte Borsig zum Dritten, „tu ich. Mal ganz normal romantisch, mal ein bisschen frecher mit Peitsche in der Hand oder nur High Heels an den Füßen.“ Karl-Heinz kam ins Keuchen. „Könnte man da mal dabei sein? Ich interessiere mich sehr für gegenständliche moderne Kunst, musst du wissen. Und kaufe auch manchmal so ein Bild. Doch, doch, das tue ich.“
Die Kleine kam mit dem Kaffee, eine gewagte Konstruktion der Natur auf – na was wohl – High Heels. „Danke Mäuschen“, sagte Karl-Heinz. „Ist dir kalt? Oder warum trägst sonst nen BH unterm Shirt?“ Was für eine Sau, dachte Borsig und nippte vom Kaffee. Der schmeckte bitter. Konnte sie also schon mal nicht. „Du machst in Karneval, ne? Da hast doch auch deine Gelegenheiten.“ „Erinner mich nicht da dran“, seufzte Karl-Heinz. „Hab ich auch gedacht, aber ey, Karneval, da stehst ständig unter Beobachtung, wenn du der Prinz bist, das ist so was Ähnliches wie Bundespräsident, nur nicht ganz so lustig. Also wie sieht's aus? Könnte man mal zugucken?“
„Tja“, sagte Borsig ein letztes Mal. „Das wäre wohl möglich. Gib mir deine Privatnummer, ich rufe dich an.“
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Es ist kein wirkliches Vergnügen, mit einem größenwahnsinnigen und arroganten Dichter im Auto zu sitzen. Gut, größenwahnsinnig und arrogant sind sie alle; die Krimiautoren vorweg, was man auch verstehen kann. Von der Literatur an den Katzentisch des Trivialen verdammt, von den Lesern dazu auserkoren, ihre niedersten Bedürfnisse zu befriedigen, von Verlagen ausgebeutet, von Kritikern als Objekte für sadistische Wortspiele missbraucht – so etwas prägt, so etwas zerstört die letzten Regungen normaler sozialer Reflexe. Aber Marxer war unter all diesen peinlichen Exemplaren das allerpeinlichste, ein Mann, dem Realität und Fiktion mehr und mehr durcheinander gerieten, der sich als Held fühlte, weil er zufällig eine Schreckschusspistole besaß.
Dabei: Wem hatte er all das
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