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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Schiffsfracht in Bremerhaven anlanden sollten. Die Adressaten waren mit denen der vorigen Charge identisch, und das wunderte mich etwas. Waren Plüschosterhasen tatsächlich das Must-Have der Saison? Ich kannte die Menschheit gut genug, um es nicht ganz auszuschließen.
     
     
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    Befand ich mich wirklich seit einer knappen Stunde in den Räumlichkeiten von Gebhardt und Lonig, Im- und Export? Meine Uhr ließ keinen Zweifel aufkommen und schiss mich mit Fakten zu. Ich versank im Wirrwarr auf Honigs Schreibtisch, erfuhr, dass man außer Plüschosterhasen noch so Allerlei vertickte, Heizdecken aus Ungarn nach Vietnam verfrachtete, spanische Obstmesser russische Äpfel schälen ließ, Mullbinden von Indien nach Brasilien verbrachte oder, kein Witz, ein Paar belgischer Eulen an den Athener Zoo vermittelte. Das alles war interessant, brachte mich aber keinen Schritt weiter.
    Ich sehnte mich nach einer Zigarette. Ging in Georg Webers einstiges Büro, kippte das Fenster und paffte den Rauch durch den Spalt ins Freie. Autogeräusche näherten sich, erstarben, jemand stieg aus, das Klackklack von Pfennigabsätzen kündete von einer Frau. Rasch alle Bürotüren schließen, ins Weberbüro, auch dort Tür zu und unter den Schreibtisch. Ich bemühte mich um eine flache und gleichmäßige Atmung. Jemand betrat den Flur, es gab einen leichten Luftzug – das Fenster war noch immer gekippt und ich fluchte leise -, die Tür des Büros sprang auf und warf eine Handbreit Licht ins Dunkel. Die Frau betrat das Zimmer der Geschäftsführerin, schloss die Tür hinter sich nicht, setzte sich an den Schreibtisch, holte Zigaretten aus ihrer Handtasche und rauchte gleich zwei davon hintereinander.
    Wenn du jemanden siehst, dann sieht er auch dich. Ich mag keine dummen Sprüche, auch wenn sie von meiner Mutter stammen. Immerhin krümmte ich mich in ausreichender Finsternis unter einem Schreibtisch, war völlig schwarz gekleidet, die Frau indes – ich bemühte die Wahrscheinlichkeit und identifizierte sie als Lydia Gebhardt höchstselbst – hockte im Licht der Neonröhre und trug ein knallrotes Kostüm, dessen Inhalt einer ausführlichen Beschreibung wert gewesen wäre, aber ich war gerade nicht in der Stimmung für ausufernde Frauenkritik. Sagen wir so: Sie war ein Vollweib in den besten Jahren, das seine besten Jahre bereits hinter sich hatte.
    Jetzt rauchte sie wieder. Fischte ihre Schminkutensilien aus den Tiefen der Handtasche und zog den Lippenstift nach, ohne die Fluppe aus dem Mund zu nehmen. Bearbeitete nachlässig ein Kaugummi und spuckte es unladylike aus. Die Frau wartete, die Frau war nervös. Sie checkte ihr Handy, bemühte sich, da keine Nachricht eingetroffen zu sein schien, jene Ärgerfalten zu produzieren, die ihr Schönheitschirurg für teuer Geld beseitigt hatte. Erhob sich, verließ das Büro, betrat das Georg Webers, musste mich unweigerlich entdecken, tat es aber nicht. Ohne Licht zu machen, griff sie nach einem Ordner im Rollschrank, trug ihn rüber in ihr Zimmer, nahm Platz, blätterte, las. Und rauchte wieder. Sie schlug den Ordner zu, brachte ihn zurück, sah mich wieder nicht. Dafür das gekippte Fenster, eine Sekunde zögerte sie, schnalzte ansatzweise empört mit der Zunge, tat aber nichts. Zurück in ihrem Büro setzte sie sich wieder an den Schreibtisch, wo sie, na was wohl, rauchte und abermals den Lippenstift nachzog.
    Nun gut. Das war gewiss aufregender als jedes aktuelle Fernsehprogramm, doch abendfüllend noch lange nicht. Irgendetwas musste passieren, die Handtasche explodieren oder Frau Gebhardt sich die Kleider vom Leib reißen oder doch wenigstens eine Werbeunterbrechung, damit man aufs Klo würde gehen können. Nichts davon geschah. Die Gebhardt wartete und wurde immer nervöser, rauchte, zog ihre hochhakigen Schuhe aus und wieder an und wieder aus, rieb sich mit der linken Fußsohle den rechten Knöchel, was ich zu jeder Zeit erotisch gefunden hätte, aber nicht in diesem Moment. Und dann geschah etwas. Ein Auto fuhr vor und Lydia Gebhardt mit einem „Na endlich“ auf. Der Motor wurde abgestellt und jemand stieg aus.
     
     
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    Mir taten die Beine weh. Ich hockte wie eine Zirkusattraktion unter dem viel zu kleinen Schreibtisch, der wohl Georg Webers beruflicher Stellung entsprach, und wagte mich nicht zu bewegen. Nein, ich treibe keinen Sport. Es genügt mir, ihn angewidert im Fernsehen zu gucken.
    Da mir zudem langweilig war, wettete ich mit mir selbst, wer gleich Lydia Gebhards Zimmer betreten

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