Rausch der Unterwerfung
Kapitel 1
Anne schlug die Beine übereinander und zog am Saum ihres Rocks. Es gab wohl kaum eine unbequemere Sitzhaltung, wenn man in der Enge der Touristenklasse saß, vor allem, wenn man so groß war wie sie, eifelturmhohe Absätze trug und das übergeschlagene Bein vom vorderen Sitz eingequetscht wurde. Doch er hatte es befohlen, er hatte ihr präzise Anweisungen gegeben.
„Schlaf dich am Morgen aus, nimm ein ausgiebiges Bad und iss zum Frühstück so viel, wie du magst“, hatte in der E-Mail gestanden. „Dann ziehst du einen kurzen Rock, halterlose Strümpfe und ein schulterfreies Top an, alles in Weiß, kein Schmuck, keine Unterwäsche, dazu Sandalen mit hohen Absätzen. Sei um zwölf Uhr fünfundvierzig am Flughafen Tegel. Lass dir nicht einfallen, einen Koffer mitzubringen, nur Handgepäck. Du wirst alles haben, was du brauchst. Am Schalter der Air Berlin liegt ein Ticket für dich bereit. Nimm einen Fensterplatz, schlag deine Beine übereinander und genieß den Flug, und wage es nicht, die Beine auseinanderzunehmen, bis du gelandet bist. Du bleibst so sitzen und rührst dich nicht, auch nicht, um auf die Toilette zu gehen oder etwas aus dem Fach für das Handgepäck zu holen. Trink reichlich, die Luft da oben ist trocken, aber du wirst nichts von dem eingepackten Zeug essen, das sie im Flugzeug servieren. Wir werden essen gehen, wenn du angekommen bist. Ich hol dich ab.“
Himmel! Auf was hatte sie sich da eingelassen? War sie überhaupt noch bei Verstand?
Seit sie Miguels E-Mail gelesen hatte, schwamm Anne durch heißkalte Wechselbäder aus Nervosität, Angst und kribbelnder Erregung. Aus ihrem Vorhaben, sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten ihren Neigungen zu nähern, die sie so lange vehement ignoriert hatte, war plötzlich ein Kopfsprung ins Ungewisse geworden.
Sie hatte eingewilligt, sich dreieinhalb Tage in die Hände eines fremden Mannes zu begeben, der nicht weniger erwartete, als dass sie sich ihm unterwarf.
Nein, mit Vernunft hatte das nichts zu tun, sondern mit heimlichen Wünschen und einer Veranlagung, die Anne sich selbst kaum eingestehen mochte – und wenn sie es tat, stieß sie ihre Zweifel doch nie ganz beiseite, als wären sie ihre letzte Fluchtmöglichkeit.
Zwar hatte es immer Hinweise gegeben, dass in der emanzipierten Frau, für die sie sich hielt, eine unterwürfige Ader pulsierte, doch hatte sie es als erotische Fantasie abgetan. In der Wirklichkeit hatte das nichts zu suchen, sie war keine von denen, dachte sie. Aber sie war auch keine Frau, die es lange in einer Beziehung aushielt, selbst wenn sie harmonisch war, dann sogar ganz besonders. Schnell hatte sie immer wieder einen Punkt erreicht, an dem sie sich von Liebe erdrückt oder von Langeweile ernüchtert fühlte. Und sie war jedes Mal an denselben Typ Mann geraten, bodenständig, erfolgreich, zum Perfektionismus neigend, Hochzeit, Familie und Eigenheim als klar definierte Ziele schnell vor Augen, und diese Ziele wurden mit viel Zuneigung und verständnisvoller Nachgiebigkeit verfolgt.
„Natürlich, mein Schatz!“, war der Satz, den Anne irgendwann nicht mehr hören konnte, dicht gefolgt von „Wie du möchtest.“
Endgültig aus der Bahn geworfen wurde sie aber erst, als Julian, ihr bisher letzter Versuch einer festen Beziehung, ihr vor versammeltem Freundeskreis aus heiterem Himmel einen romantischen Heiratsantrag machte.
Noch heute ballte sich ihr Magen zu einem Knoten zusammen, wenn sie daran dachte, wie er mit einer roten Rose in der einen Hand und einem Ring in der anderen vor ihr gekniet hatte, während um sie herum kollektiv Luft geholt und gelächelt wurde, zumindest, bis ihr leises „Tut mir leid“ zu hören war.
„Was darf ich Ihnen anbieten?“
Anne schreckte aus ihren Gedanken hoch, als die Stewardess sie freundlich ansprach.
„Ein Wasser bitte“, verlangte sie, löste die Halterung des Klapptischchens im Vordersitz und drückte ihn nach unten, was ihr jedoch nicht vollständig gelang, weil ihr Knie vor ihr aufragte wie das Matterhorn.
Sie nahm den Plastikbecher entgegen, trank einen Schluck und stellte ihn auf der leicht schrägen Fläche ab. Dann schaute sie aus dem Fenster auf die winzige Landschaft in der Tiefe, die zum Teil von aufgeplusterten Wolken verdeckt war.
Nach der Trennung von Julian war sie durch die Spießruten ihrer Selbstzweifel gegangen, hatte sich gefragt, was mit ihr nicht stimmte. Jede andere Frau wäre Julian vor Glück in die Arme gefallen, sie aber war
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