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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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von Galapagos. Na, egal, rein ins Getümmel, die Sätze fliegen einem nur so um die Ohren, „Mathilde serviert immer Knobibrötchen vor dem Lönch, das ist de-gu-tooo“ – „Ganz heavently, meine Gnädigste...“ – „wenn der Dax nicht bis Monatsende über 7000 kommt, muss ich 200 Leute entlassen. Sonst 500.“ Immer lächeln, Hermine, wir leben hier im Land des Löchelns, wieder so ne scheiß Operette.
    Die Blicke ins Dekolleté ertrag ich auch, kennt man als Frau eh nicht anders. Wenn jeder ein 100-Euro-Schein wäre, könnte ich mich zur Ruhe setzen, wäre jeder eine Hand, könnt ich ne ganze Handballweltmeisterschaft veranstalten. „Deliziös, die Froschschenkel!“ – „Wie in Nizza!“ – „Ach, Sie haben eine Residence in Nizza?“ „Nein, auf Ibiza.“ – „Ja, da kenne ich eine nette Hippiekommune, die bastelt so süße Sachen.“ – „Ich kenne in Nizza einen genialen Biobäcker.“ – „Ach, das ist interessant!“
    Ja, hochinteressant. So geht das 15 Minuten lang und immer wieder dieses „Auf den Geist der vergangenen Weihnacht!“ Bis einer das variiert, „Auf den Geist der gegenwärtigen Weihnacht!“ und seine „Ahs!“ und „Ohs!“ erntet. Da unterhalt ich mich doch lieber mit einem Säufer über Flaschenbier.
    Die Tabletts sind schnell leergeräumt, wir ziehen uns an die Tische zurück, um Nachschub zu holen, aber Helga und Monika winken ab. „Reicht. Sonst kommen wir mit unserer Timeline durcheinander und das Zeitfenster geht zu.“ Genau. Jemand – der Typ mit dem Backenbart – klopft mit einem Kugelschreiber gegen seinen Champagnerkelch und allmählich verebbt das Gemurmel und Gelächter. „Konsul Pagenstrecker möchte uns etwas verkünden“, verrät Monika, und Konsul Pagenstrecker räuspert sich. „Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Geschäftspartner und lieber Herr Direktor Würg“ (ein hutzeliges Männlein in der ersten Reihe verbeugt sich geblendet) „Weihnachten ist etwas Besonderes und Literatur ist etwas Besonders und Charles Dickens ist etwas ganz Besonderes.“ Die ersten beginnen zu klatschen, Herr Konsul macht eine abwehrende Handbewegung. „Wir leben in einer Welt des Wohlstands, selbst unsere Armen können nicht klagen.“ Gelächter und ein vereinzeltes „Aber die Hartzer klagen als ginge die Welt unter!“ Pagenstrecker lacht und fährt dann fort: „Bei Dickens war die Armut noch Armut, aber was ist Armut? Und was ist Weihnachten und was Armut an Weihnachten und was Wohlstand?“ Hm, jetzt gucken einige richtig nachdenklich. Rührlein stößt mich schon wieder an. „Trefflich formuliert“, flüstert er, „gleich geht’s hier los.“ Er scheint sich drauf zu freuen.
     
     
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    Auf einmal stehen diese zerlumpten Kinder mit den Fackeln neben uns, Jungs wie Mädchen, ganz schmutzig die Gesichter. Der Backenbärtige quatscht munter weiter, ich versteh nur die Hälfte der Wörter und ihren Sinn überhaupt nicht, „das Faszinosum des Pauperismus“, „genetisches Stahlbad unserer psychisch entgrenzten Vorfahren“, haben wohl alle studiert hier, hören zu als säßen sie in Kirchenbänken, und als Backenbart fertig ist, wird geklatscht und „genau so isses, wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ gerufen.
    Helga beugt sich zu einem der Jungs runter und flüstert ihm was ins Ohr. Der Junge nickt und setzt sich in Bewegung, die anderen folgen ihm, sie trippeln um die Tische rum auf einen schmalen Ausgang zu, der mir bis eben gar nicht aufgefallen war. „Meine verehrten Herrschaften“, sagt Monika wie eine Animateurin auf Gran Canaria, „würden Sie bitte unseren jungen Freunden folgen – es ist Bescherungszeit!“ Bescherungszeit. „Ah! Oh!“ Und wir? „Wir können uns das auch angucken“, tuschelt mich Herr Rührlein von der Seite an, „das mit dem Hauptgang dauert ja noch ne Weile.“ Und schon hängen wir am Schwanz der Schlange und verschwinden mit ihr im Stollen.
    Mich fröstelt ein wenig, obwohl es hier erstaunlich warm ist. Es geht leicht bergab und die Leute sind ruhig und das Licht huscht über die Wände und man hört die Schritte und vor uns tut sich der Fels mächtig auf, eine richtige Kathedrale betreten wir, alle machen wieder „oh!“ und „ah!“. Backenbart räuspert sich.
    „Leider“, beginnt er, „dauert es noch eine Weile, bis ein original Silberflöz geöffnet werden kann. 60 Zentimeter breit wie hoch, da konnte sich ein Kind gerade so durchzwängen, Erwachsene chancenlos, es wurde dort bullenheiß, meine Damen

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