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Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Die Ehre der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Ehre der Am'churi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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Talenten und Fähigkeiten gesegnet sind, oder aber ein Talent so stark ausgeprägt haben, dass es sich von jung an zeigt. Wenn es eindeutig ist – beispielsweise ein unfehlbares Gedächtnis, gemeinsam mit Interesse für Zahlen und Formen – wird nichts Schlimmes geschehen. Ein solches Kind kann früh von Dimata, der Göttin des Wissens, berührt werden, wodurch sich all seine Talente noch stärker entwickeln, und seinen Lebensweg unter ihrer Führung beschreiten.
    Manchmal aber sind diese Fähigkeiten von der Art, wie sie für viele Götter reizvoll sind: Mut, Kraft, Schnelligkeit und Geschick, das spricht nicht nur Muria und Am’chur an, sondern auch Balur, die Nauriten, Kalesh … für gewöhnlich warten die Götter dann mehrere Jahre, bis sich eindeutig zeigt, in wessen Hände das Kind gehört. In ganz seltenen Fällen aber …“
    Er seufzte wieder.
    „Ni’yo war von Geburt an eine Ausnahme in jeder Hinsicht. Überreich gesegnet mit Talenten, mehr als ein einzelner Sterblicher braucht: Schnelligkeit, Kraft, Intelligenz und vieles mehr. Muria legte ihren Anspruch nieder, als Ni’yos Schwester geboren wurde, ähnlich reich begabt. Da Am’chur keine Mädchen wählt, war der Zornige zufrieden damit, sie Muria zu überlassen. Aber zu viele Götter griffen nach dem Jungen, und Am’chur blieb nichts übrig, als ihn schon sehr früh zu berühren, um ihn zu beschützen. Ni’yo war noch ein Kleinkind, aber bereits vom Kriegsgott gesegnet. Darum kam er so jung in den Tempel. Er wäre sonst im Streit der Göttlichen getötet worden.“
    „Meister, warum hat Ni’yo gesagt, es wäre seine eigene Schuld, dass alle ihn hassen? Dass er das Böse in den Menschen weckt?“, fragte Jivvin leise.
    „Du hasst ihn seit dem Tag, an dem du ihn das erste Mal gesehen hast, nicht wahr?“
    Unbehaglich nickte er.
    „Hat Ni’yo dir jemals etwas getan? War er bösartig zu dir, hat er etwas zerstört, was dir teuer war? Dich aus dem Hinterhalt verletzt?“
    „Nein. Nicht mich, aber meine Freunde. Zumindest, als er noch jünger war und sich so häufig unbeherrscht verwandelt hat.“
    „Trotzdem hasst du ihn, wie nahezu jeder hier.“
    Leruam stand auf und füllte einen Becher mit Wasser aus dem Krug, den Jivvin neben seinem Bett stehen hatte.
    „Dies ist gewöhnliches Wasser, nicht wahr? Du trinkst es, wenn du durstig bist, es erfrischt dich, schenkt dir Leben. Gibt es einen Grund, dieses Wasser zu hassen?“
    „Nein, Meister.“ Verständnislos starrte Jivvin den Becher an. „Zumindest nicht, wenn es frisch und frei von Gift ist.“
    „So ist es. Nun denk dir einen Fluss. Er fließt von den Bergen hinab zum Meer, bietet unzähligen Tieren Leben und Wohnraum, tränkt Felder und Auen, Wald und Flur. Im Frühjahr, während der Schneeschmelze, mag er über seine Ufer treten und Bäume entwurzeln, Dörfer überschwemmen, Leben stehlen statt zu erhalten.
    Auch das ist Wasser. Gibt es Grund, dieses Wasser zu hassen?“
    „Nein, Meister. Man muss ihn lieben, diesen Fluss, und vielleicht fürchten, wenn er zu mächtig wird. Man kann ihn dämmen, dann ist die Gefahr kleiner.“
    „So ist es. Nun denke dich ans Meer. Es sammelt die Macht unzähliger Flüsse und nimmt sie in sich auf. Es trägt Leben in sich, schenkt freigiebig, nimmt gnadenlos. Es nährt Mensch und Tier, aber zerstört von Zeit zu Zeit, was diese aufbauen.
    Auch das ist Wasser. Gibt es Grund, dieses Wasser zu hassen?“
    „Nein, Meister. Man muss sich sehr in Acht nehmen, das Meer ist gefährlich. Aber es gibt so viel, mehr als es nimmt, dass man es trotzdem lieben muss. Furcht und Respekt, vielleicht Verzweiflung, wenn es zu zornig wird, ja. Aber für Hass gibt es keinen Grund.“
    „So ist es. Und nun denke dir eine Sturmflut. Sie kommt ohne Vorwarnung und nimmt alles, tötet wahllos, ohne jemals genutzt zu haben, und was zurückbleibt, sind Tod und Vernichtung.
    Auch das ist Wasser. Gibt es Grund, dieses Wasser zu hassen?“
    Jivvin zögerte. „Vielleicht. Es ist ja nicht nur Wasser, sondern auch der Wind dabei … Man mag es hassen, oder voller Angst vor ihm fliehen.“
    Leruam nickte zustimmend.
    „Nun stell dir vor, dass ein gewöhnlicher Mensch diesem Becher mit Wasser entspricht, ein begabter Mensch dem Fluss und ein Am’churi – oder ein von einem anderen Gott Erwählter – dem Meer. Auch Ni’yo ist wie das Meer. Aber in ihm lauert die Sturmflut, die Macht, alles zu vernichten. Was du und jeder andere an diesem Jungen hasst, ist nicht das, was er

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