Die Ehre der Slawen
aller Windeseile die Leiter hinauf. Oben angekommen konnte der Schreck kaum größer sein: Soweit das Auge reichte, waren am Waldesrand Lagerfeuer entfacht worden und es wurden immer mehr. Aus der Anzahl der Feuer zu schließen, mussten sich dort viele hundert, wenn nicht sogar tausend Männer dieses verfluchten Wendenpacks zusammengerottet haben.
Mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn kehrte der edle Ritter in sich. Er würde abermals umplanen müssen. Diese Übermacht gab ihm wahrlich zu denken.
*
Kapitel 25
Der riesige Mann, dessen Gesicht vor Zorn zu einer hässlichen Fratze verzerrt war, stürmte auf ihn los, um ihn zu töten. Schweißnasses Haar klebte in seinem Gesicht. Die rechte Wange wurde von einer langen, klaffenden Wunde verunstaltet, aus der eine eitrige Flüssigkeit nässte. In der rechten Hand hielt er ein gewaltiges Schwert zum Schlag erhoben, während seine linke einen schweren Schild schützend an seinen Körper presste.
Lauft, mein kleiner Thietmar, lauft, drangen Staris aufgeregte Worte auf ihn ein, rennt um Euer Leben, mein kleiner Herr! Lauft zur Insel des Riesenmädchens!
Wie gerne hätte der kleine Junge den Rat seines alten Geschichtenerzählers befolgt, aber die Angst lähmte ihn. Seine Beine waren schwer wie Blei und wurden mit jedem winzigen Schritt immer schwerer. Es war, als ob er bis über beide Knie in einem zähen Sumpf steckte, der ihn mit aller Macht festhielt.
Der große, böse Mann bemerkte dies wohl und lachte gehässig. Seiner leichten Beute gewiss verlangsamte er seine Schritte etwas, bleckte seine gelben Zähne und holte mit dem erbarmungslosen Schwertarm weit zum tödlichen Schlage aus. Irgendwo in der Ferne röhrten große Stierhörner ihre todbringenden Fanfaren und untermauerten den grausigen Moment mit ihrer Furcht einflößenden Musik.
So lauft doch endlich, mein kleiner Herr, bringt Euch in Sicherheit!
Der alte Withase fasste den kleinen Jungen am Hemdsärmel und wollte ihn mit sich ziehen, aber es ging nicht. Seine Beine rührten sich einfach nicht mehr von der Stelle. Thietmar wurde vor Angst fast wahnsinnig, als er die Mordgier in den Augen des bösen Mannes funkeln sah. Er sah den herzlosen Stahl bereits auf sich zukommen, als es ihm in einem letzten verzweifelten Kraftakt gelang die Beine vom Boden zu reißen.
Dann war der Spuk vorbei. Wild strampelnd, einen entsetzten Aufschrei auf den Lippen, riss Thietmar die Augen auf und erwachte. Sein Herz raste in Todesängsten, während die Brust sich wie nach einem anstrengenden Wettlauf hob und senkte. Fest im linken Hemdsärmel verkrallt, riss und zerrte immer noch seine rechte Hand, als ginge es um das nackte Leben.
»He, Kleiner, hast ’n bösen Traum gehabt, wie?«
Schwere Tritte näherten sich und eine raue Stimme versuchte beruhigend auf ihn einzuwirken.
»Hm«, nickte Thietmar leicht irritiert und ließ endlich seinen Hemdsärmel los. Mit blinzelnden Augen schaute er zu seinem großen Freund Rapak hinüber, der nur knapp eine Armeslänge entfernt schlief. Während Thietmars kurzem Schrei hatte sich Rapak blitzschnell aufgerichtet und abwehrbereit die Arme erhoben. Als er aber die Situation erkannte, brummte er nur etwas Unverständliches, legte sich wieder auf die Seite und zog seine Decke bis über beide Ohren.
Mit Mühe schluckte Thietmar den trockenen Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte und antwortete mit belegter Stimme: »Ja, es war ein fürchterlicher Traum. Ein böser Mann wollte mir den Kopf abschlagen.«
Ein verhaltenes Kichern war die Folge.
»Ach, mach dir darüber nur keine Sorgen, Kleiner. Solcherart Träume schicken die Traumgeister manchmal.«
Der stämmige Wendenkrieger, dessen Umrisse sich im nächtlichen Wald nur schemenhaft abhoben, kratzte sich mit schabenden Geräuschen seine Bartstoppeln und fügte murmelnd hinzu: »Oftmals befallen einem aufrechten Mann solche Träume kurz vor ’ner Schlacht. Nimm’s, wie du willst. Betrachte deinen Traum einfach als gut gemeinte Warnung der Götter und halt dich im Morgengrauen etwas abseits. Am besten wird’s gar sein, du versteckst dich im Walde, bis es vorüber ist.«
Thietmar legte fragend den Kopf etwas schräge, jedoch der Wendenkrieger mit der rauen, aber sanften Stimme, wollte nicht näher darauf eingehen. Er hob etwas ratlos die Arme und sah fragend zu dem kleinen Jungen hinunter.
»Willst mir am Feuer Gesellschaft leisten? Ich meine, bis sich’s Gemüt
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