Die Ehre der Slawen
Augen für den Mann, der sein Dorf erobert hatte und der nicht einmal vor brutaler Gewalt an harmlosen Kindern zurückschreckte. Diesen Mann wollte er zu einem Zweikampf fordern, in dem es nur um das Eine ging: er oder ich! Zielstrebig und stark, wie ein zorniger Wisent, bahnte er sich rücksichtslos seinen Weg, um dem Erzfeind Aug’ in Aug’ gegenüberzustehen.
Ganz anders hingegen verhielt sich die kleine Gruppe um den alten Cholp Stephan, die in einem der letzten Boote etwas abseits angelegt hatte. Gefolgt von seinem Kmeten und dessen Freund - dem mürrischen Töpfer, Seite an Seite mit dem weltoffenen Kaufmann - Rapaks Vater, stürmte er das flache Ufer entlang. Aber auch die Väter von Bikus und Kosi sowie Brüder, Neffen und Oheime folgten ihnen auf dem Fuße. Als verschworene Gemeinschaft, welche die Angst um ihre Nachkommen zusammenschweißte, waren sie am äußersten Rande der kleinen Flotte übergesetzt. Sie wollten nicht gemeinsam mit Milosc die Hauptmacht des Feindes angreifen, sondern in seiner Flanke vordringen. Ihr erklärtes Ziel war die Suche und das Befreien der gefangenen Kinder. Und wenn ihnen das gelang, dann hätte das feindliche Heer, ohne es zu ahnen, einen seiner wichtigsten Trümpfe verloren. Wenn nämlich das Leben der Geiseln auf dem Spiel gestanden hätte, wäre der Kampf zu Ende gewesen, noch bevor er entschieden wäre. Sogar selbst ihr zu Tode beleidigter Fürst, auch er hätte seine Waffen strecken müssen, wenn dafür das Leben der Kinder in die Waagschale geworfen wäre. Kinder besaßen seit Angedenken einen besonderen Schutz. Dies war und blieb ein ehernes und heiliges Gesetz, das um keinen Preis gebrochen werden durfte.
Stephan war für den heutigen Kampf einstimmig zum Anführer dieser Gruppe gewählt worden, trotz seines niederen Status. Auch wenn er nur ein Weniges sein Eigen nennen konnte, so war er, was die Kampferfahrung betraf, doch allen seiner Begleiter haushoch überlegen. Das gab bei der Wahl letztlich den entscheidenden Ausschlag.
Sich seiner Verantwortung und des Ernstes der Lage völlig bewusst, öffnete Stephan seine Sinne weit und registrierte jede Kleinigkeit. Er hörte, wie Ritter Udo Befehle brüllte, um Ordnung in das heillose Durcheinander seiner Streitmacht zu bringen. Er erkannte aber auch, wie wenig die Befehle in diesem ungezügelten Kampfe zurzeit noch fruchteten. Viel zu groß und zu lärmend war das momentane Durcheinander auf dem Schlachtfeld, um in Windeseile kampfstarke Schlachtformationen aufstellen zu können. Allerdings, so wusste es der alte Cholp aus leidvoller persönlicher Erfahrung, konnte sich dieses sehr schnell ändern.
Die ersten Toten und Verletzten lagen blutüberströmt und verstümmelt am Boden und behinderten Freund und Feind gleichermaßen. Wie Stephan wütend erkannte, waren die meisten der Gefallenen Freunde und Bekannte aus dem Dorf. Jedoch hatte er es auch gar nicht anders erwartet, denn zu groß war die Unerfahrenheit der einfachen Siedler im Umgang mit dem Schwerte. Aber auch die kampferprobten Streiter des Ritterheeres hatten die ersten Verluste hinnehmen müssen. Zwar stand die Anzahl der gefallenen Söldner in keinem Verhältnis zu den erschlagenen Dorfbewohnern, aber immerhin wurde jedermann deutlich, dass die fremden Eindringlinge nicht unbesiegbar waren.
Auf halbem Weg breitete der alte Cholp plötzlich seine Arme aus und brachte seine Kampfgefährten zum Stehen.
»Was ist?«
»Warum geht’s nicht weiter?«
»Nun los doch, vorwärts!«, riefen ihm seine Gefährten ungeduldig zu.
Statt einer Antwort brachte Stephan seine Begleiter mittels einer Geste zum Schweigen. Er hob den Kopf und lauschte. Aus Richtung der Palisaden waren deutlich Axt- und Hammerschläge aber auch Kampfeslärm zu hören.
»Hört ihr es nicht?«, rief er frohlockend nach hinten. »Vor dem Dorfe steht unsere Verstärkung.«
»Hurra, die Götter sind uns wohlgesonnen!«, jubelte der Töpfer und riss einen gewaltigen Eichenholzknüppel in die Höhe, an dessen oberen Ende spitze Eisendornen eingelassen waren.
»Das dort zuerst«, bestimmte Stephan kurzerhand und wies mit dem Schwert in Richtung der nächststehenden Behausung.
In Windeseile wurden nun nach und nach alle auf der Seeseite gelegenen Wohnstätten durchsucht. Eine Tür nach der anderen wurde aufgerissen und die Namen der Kinder gerufen. Jedoch niemand antwortete. Das Einzige, was sich ihnen darbot, waren fürchterliche Verwüstungen. Die angestachelte
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