Die Ehre der Slawen
Gier der Blutknechte auf der Suche nach vermeintlichen Schätzen war so groß gewesen, dass sie sogar die Feuerstätten regelrecht umgegraben hatten. Sitzbänke, Tische und sogar die Wandregale waren zu Kleinholz zerschlagen worden. Wo sich einst die Schlafstätten befunden hatten, lagen nur noch wüste Haufen aus zerwühltem Heu und herausgerissenen Brettern. Es würde Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern, bis alles wieder hergerichtet war.
Nachdem sie die letzte Hütte auf dieser Seite ergebnislos durchsucht hatten, versammelte sich die kleine Kämpferschar wieder um ihren alten Anführer.
»Wir müssen rüber, zur anderen Dorfseite«, murmelte Stephan.
»Dann los!«, rief Paddies Vater laut und wollte sogleich losstürmen.
Sein Cholp hielt ihn jedoch gerade noch rechtzeitig am Arm fest.
»Nicht so ungestüm, mein Freund, warte noch!«
»Warten, worauf?«
Stephan deutete mit dem Schwert auf die hin- und herwogende Schlacht.
»Wenn du durch dieses blutige Getümmel willst, dann kannst du dich gleich mit deinem eigenen Schwert entleiben!«
»Aber wir müssen doch da durch, wenn wir zu den anderen Häusern wollen!«
»Nein!«
»Wie nein?«
Der alte Cholp machte beschwichtigende Handbewegungen und sah abwechselnd zu den Palisaden und dann wieder auf das blutige Kampfgeschehen. Was er erkennen konnte, war ganz und gar nicht erfreulich.
Trotz des ungestümen Angriffs auf das ungeordnete Ritterheer und trotz der anfänglichen kleinen Erfolge, welche die Siedler errungen hatten, gewann nun die Kampferfahrenheit der wohlgepanzerten Krieger immer mehr an Boden. Im Gegensatz zu seinen Begleitern konnte sich Stephan ausrechnen, wie der Kampf endete: Die Siedler würden eindeutig unterliegen, wenn nichts Entscheidendes geschah. Und gleichzeitig wusste er auch, wenn er selbst dies vorhersehen konnte, dann musste es der gemeine Ritter erst recht erkennen. Schritt für Schritt gewann das feindliche Ritterheer immer mehr an Boden. Stellenweise war es ihnen sogar gelungen, die ersten geordneten Kampflinien aufzustellen. Der Todesmut und die Wut der Siedler verpufften immer öfter wirkungslos an den Mauern aus großen Schilden. Während die Slawen, jeder für sich, blindlings drauflosschlugen, handelten die Reihen der kampferfahrenen Kriegsknechte wie ein einziger Mann: Zuschlagen, einen Schritt vor, Schild heben, Angriff parieren und das Ganze begann wieder von vorn. Immer seltener gelang es den Dorfbewohnern, eine Bresche in die geschlossenen Linien zu reißen, während die Anzahl ihrer Opfer beständig zunahm.
»Wir müssen das Tor öffnen und die Verstärkung einlassen«, bestimmte Stephan mit kräftiger Stimme.
»Und die Kinder?«, wollten Kosis und Bikus Vater gleichzeitig wissen.
»Wenn wir das Tor nicht bald öffnen, kann niemand mehr den Kindern helfen!«, war seine eindeutige Antwort.
Gleich darauf sah er sich prüfend nach allen Seiten um. Auf den Palisaden wurde zwar gekämpft, aber der Platz unmittelbar vor dem Tor war frei. Das Hauptheer des Ritters hingegen verlagerte das Schlachtfeld immer mehr zum Seeufer und wandte ihnen den Rücken zu. Eine bessere Gelegenheit böte sich also nicht mehr.
»Also los«, befahl der Cholp und stürmte auf seinen krummen Beinen voran.
Über die Schulter rief er nach hinten: »Zum Tore! Koste es, was es wolle, wir müssen es öffnen! Die Schlacht ist sonst verloren.«
Zwar nicht ganz überzeugt von der Meinung ihres Anführers, die Nützlichkeit seines Vorschlages aber anerkennend, rannte die kleine Gruppe mutig hinterher.
Nur noch wenige Dutzend Schritte trennten sie von ihrem Ziel, als sie bemerkt wurden. Ein stämmiger, einäugiger Hüne schaute verblüfft vom Wehrgang auf sie hinunter. Zwei, drei kurze Lidschläge seines gesunden Auges reichten ihm jedoch aus, um zu erkennen, dass dies kein Albtraum war. Er blickte abschätzend noch einmal über die Palisaden und brüllte sodann: »Zehn Mann mit mir nach unten! Diese verfluchte Satansbrut will das Tor öffnen!«
Ohne sich nach einer Leiter umzusehen, warf er Schwert und Schild voran und sprang kurzerhand die gut anderthalb Mannslängen einfach hinterher. Mit zwei Umdrehungen ließ er sich auf dem sandigen Boden abrollen, griff noch mitten in der Bewegung nach seinem Schwert und stand, vom restlichen Schwung vorangetrieben, sofort wieder auf den Beinen. Als er den Kampfschild ergriff, rannte er bereits. Fast gleichzeitig mit Stephan erreichte er das Tor und die Schilde
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