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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Leine zum x-ten Mal mit zwei Fingern, sie lässt sich kaum herabziehen und springt sofort zurück wie eine Saite.
    Vor dem Spannen habe ich die Wäsche von der Leine abgehängt. Der Regen war vorausgesagt und für mein Vorhaben fand ich es unpassend, wenn ich ein paar meiner Unterhosen und Socken – wie Fahnen auf Halbmast – zurückließe. Ich habe sie gefaltet und zusammengerollt und in den Schrank gelegt, ich will kein Chaos hinterlassen. Auch hätte eine volle Wäscheleine mich behindert, mir die Sicht genommen und das Festhalten erschwert.
    Jedenfalls, an Leine und Stuhl wird es nicht scheitern.
    Auch meine Kleidung ist passend. Ich trage das weiße Hemd unter dem dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt.
    Ein letzter Blick in die Welt. Ein paar Autos fahren auf der Straße, Wasser spritzt hinter ihren Rädern hoch. Die Bürgersteige sind leer, als eine kurzbeinige Erscheinung in weitem, wehendem Kleid, bunten Tüchern und aufgeweichter Frisur mit Schwung um die Ecke kommt. Sie zieht einen störrischen Mops hinter sich her. Der Hund bellt, die Frau zerrt an der Leine. Sie sollen die Letzten sein, die mich sehen, entscheide ich, einer muss es sein.
    Ich steige mit dem linken Fuß auf den Stuhl und halte mich mit der linken Hand an der Hauswand fest.
    »Hallo!
    Unbeirrt setze ich nun den rechten Fuß auf die Brüstung und ziehe mich mit der rechten Hand an der Wäscheleine hoch.
    »Hallo, Sie da!«
    Irritiert halte ich einen Moment inne. Die Stimme erinnert mich an
cherrys
Stimme im Telefon. Unmöglich. Die Frau da unten ist nicht schlank, nicht blond und nicht makellos schön. Ich schüttele den Gedanken beiseite.
    »Was machen Sie denn da?«
    Ich ziehe den linken Fuß nach. Ich balanciere auf der Brüstung. Ich drohe zu kippen. Es geht um Leben und Tod. Der Regen beschlägt meine Brille.
    Die Frau steht unter meinem Balkon. Sie kneift ein Auge gegen den Regen zusammen und schielt zu mir hoch. Ihr Gesicht ist rund und rosig. Ihre Haare kleben in nassen Strähnen auf ihrer Stirn. Ihre bunten Tücher hängen schlaff an ihr herunter. Der Hund schüttelt sich, Wassertropfen springen davon.
    »Bist du etwa Herrmann? Herrmann Schultze? Schultze mit tz?«
    Ich wende mich ab, blicke anklagend in den Himmel. »Bist du etwa
cherry

    Im gleichen Augenblick strauchle ich und falle strampelnd und rudernd durch die Äste und Blätter direkt vor ihre Füße – auf den Bauch.
    Der Schmerz, der bei dem dumpfen Aufprall in meine Stirn fährt und von dort über den Nacken in den Rücken, ist unvorstellbar. Ich möchte sterben, um ihn nicht länger ertragen zu müssen.
    Eine nasse Hundenase schnüffelt interessiert an meinem Hals und versucht mich mit einem Stups zurück ins Leben zu holen. Eine warme Hand streicht mir sanft über die Schultern.
    Und wie durch einen langen Tunnel höre ich eine Stimme sagen: »Ich wollte es dir eigentlich schonender beibringen.«

Château Soundso
    Dann wollen wir doch mal den Wein probieren, den uns Erlinger da mitgebracht hat!«, rief Alfred Graf von Alserbach nach dem ersten Gang, hob ein leeres Glas und winkte damit den Diener herbei.
    Er und seine Gattin hatten auf Büttenpapier zu einem kleinen Dinner auf Schloss Alserbach geladen, ihrem malerischen Domizil an der Hessischen Bergstraße. Alfred Leuster, wie er eigentlich hieß, war nicht nur mein Gastgeber, sondern auch mein Chef und Inhaber des kleinen chemischen Betriebes in Bensheim, in dem ich mit acht weiteren Kollegen beschäftigt war. Den Adelstitel hatte er erst vor einem guten Jahr durch seine Heirat mit Charlotte Gräfin von Alserbach, einem alten hessischen Adelsgeschlecht, erworben.
    Leuster trug an diesem Abend ein maßgeschneidertes weißes Dinnerjackett. Die Gräfin hatte mich in der Halle in einem langen, dunkelroten Kleid empfangen, dessen Dekolleté gewagt war. Ich sah sie an jenem Abend zum ersten Mal und wusste sofort, als sie die Marmortreppe heruntergestiegen kam, dass Leuster sie nur des Titels wegen genommen hatte, und wegen des Schlosses natürlich. Sie war eine bereits verblühte, üppige Rothaarige, deren blaues Blut durch ihre weiße, sommersprossige Haut schimmerte. Sie war keine Schönheit, auch wenn ihre Nase ziemlich adlig sein mochte. Ihre Stimme war es nicht. Sie war ein wenig zu schrill.
    Ich an Leusters Stelle hätte die Gräfin nicht genommen. Auch nicht mit Schloss.
    Ich hatte ein gutes Gefühl, als sich der Diener mit der Flasche Wein näherte, die ich mitgebracht hatte. Ich trinke ihn regelmäßig,

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