Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
dass er seine Finger nicht davon lassen konnte, er war viel zu neugierig. Und seit dem Dinner auf Schloss Alserbach wusste ich auch, er war viel zu gierig, um mit der Gräfin zu teilen.
Jetzt, dachte ich, konnte ich meinen kleinen Hauswein wieder selbst trinken und meinen Feierabend genießen. Alle Hetze hatte ein Ende.
Die Beerdigung fand an einem regnerischen Tag auf dem verwitterten, schlosseigenen Friedhof statt. Ich nahm Charlotte Gräfin von Alserbach unter meinen schwarzen Golf-Schirm. Ich musste sie stützen. Sie wirkte zerbrechlich und zittrig. Geistesabwesend blickte sie durch den schwarzen Schleier ihres Hutes. Kurz bevor sie in den Fond des Jaguars stieg, bat sie mich mit tragischer Stimme, die Geschäfte des Unternehmens vorläufig kommissarisch zu übernehmen, bis es ihr wieder besser gehe.
So kam ich doch noch zu meiner Beförderung.
Vor einem Monat, kurz vor Ladenschluss, stand sie bei meinem Lieblingsdiscounter hinter mir an der Kasse. Ich hätte sie beinah nicht erkannt. Ihre Frisur war derangiert. Sie hatte abgenommen. Ihre Wangen waren eingefallen, ihre Augen umschattet. Sie sah noch älter aus als zuvor. Wie sehr musste der Tod ihres Mannes sie mitgenommen haben!
Unverwandt blickte sie auf meinen geliebten Hauswein, der gerade als einziger Artikel über das Band rollte. Auch der Einkauf der Gräfin Charlotte von Alserbach bestand nur aus einem Artikel. Einem Weinkarton. Sie raten nie, welcher Wein darin war.
Während ich in meinem Portemonnaie nach den 2.95 € suchte, legte sie eine Hand auf meine und raunte: »Ich wusste, dass ich Sie hier eines Tages treffen würde.«
Seit diesem Tag gehe ich im Schloss ein und aus. Ob ich will oder nicht. Charlotte hat mich in der Hand. Nicht nur wegen Wucher, ihr verstorbener Gatte hatte sie von dem Dessertwein kosten lassen. Sie hatte nur daran genippt. Danach war es ihr sehr schlecht ergangen, zur Beerdigung hatte sie sich mit letzter Kraft geschleppt, war eine Zeitlang bettlägerig gewesen und erholte sich nur langsam. Sie leidet heute noch unter Spätschäden.
Sie wird niemandem etwas sagen, sagt sie, solange ich bei ihr bleibe.
Sie kann einfach nicht allein sein.
So wie früher
Pfingstsonntag 2010. 11 Uhr. 22 Grad. Keine Wolke am Himmel.
Gregor Klemm bog in Gemünd links in Richtung Schleiden ab. Auf dem geraden Stück zwischen Nierfeld und Olef kam ihm eine Motorradkolonne entgegen. Acht Mann. Im Rückspiegel sah er, dass es Holländer waren. Man grüßt sich, auch wenn man sich nicht kennt. Das ist so üblich. Biker sind eine große Familie. Und selten allein unterwegs.
Auch Gregor könnte sich jetzt eigentlich mit seiner Truppe in Süddeutschland auf der Schwarzwald-Hochstraße in die Kurven legen. Die Tour machten sie jedes Jahr, immer dasselbe Hotel, mit Sauna und Biergarten, in Freudenstadt. Aber die anderen Fünf waren schon am Samstag in aller Frühe gestartet. Laura, seine Freundin, als Sozia von Bernd. Gregor nahm ihr das nicht übel, aber sauer war er schon.
Er hatte gestern den ganzen Tag bis Mitternacht unabkömmlich im Büro festgesessen. Er war Leiter einer Internetagentur und verantwortlich für den reibungslosen Netzauftritt einer großer deutschen Telefongesellschaft. Es hatte Probleme an der Schnittstelle gegeben.
Gregor hatte überlegt nachzukommen, aber dann hätte er mit drei, vier Stunden Schlaf auskommen müssen. Als abzusehen war, dass er die halbe Nacht arbeiten musste, hatte er abgesagt. Laura hatte das bedauert, das Gejohle im Hintergrund am Telefon hatte Gregor einen Stich versetzt.
Kein Schwarzwald, keine Hochstraße, kein fröhliches Beisammensein.
Stattdessen Eifel, allein.
Gregor hatte heute morgen ausgeschlafen, sich gegen 10 Uhr auf sein Motorrad geschwungen und die Stadt auf der B 265 in Richtung Schleiden verlassen. Ohne Ziel, aber mit viel Zeit. Er wollte ein bisschen herumkurven, bei so einem Wetter konnte er nicht zuhause hocken. Vielleicht, hoffte er, würde er irgendwo auf eine Truppe treffen, der er sich anschließen konnte. Allein Motorradfahren, das ist wie allein in einer Kneipe sitzen.
In Schleiden, am Kreisverkehr, waren vor einer Gaststätte ein paar Motorräder geparkt, die Fahrer hatte die Lederjacken ausgezogen, saßen im T-Shirt bei Milchkaffee auf Holzmöbeln und beobachteten den Verkehr. Gregor legte ein spätes Frühstück ein, man kam ins Gespräch, man fachsimpelte. Es war ein bunter, lustiger Haufen aus Ahrweiler, sie waren schon seit dem frühen Morgen unterwegs. Ihr Ziel war
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