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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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bedenken und versuchte den Schweiß zu ignorieren, der sich auf meiner Stirn gebildet hatte und mir gleich über die Wangen laufen würde. »Dieser Wein ist handverlesen. Es gibt nur wenige Flaschen davon. Ich könnte versuchen …«
    »Ich will sie alle haben!«
    »Ich werde tun, was ich kann«, versprach ich.
    »Ich befehle es Ihnen!«, befahl Leuster.
    Die folgenden vier Gänge des Dinners konnte ich nicht mehr richtig genießen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, obwohl ich wusste, dass Nachschub zu besorgen einfacher war, als ich dargestellt hatte. Es gab vermutlich einen unerschöpflichen Vorrat dieses Weines. Er gehörte nämlich zum Stammsortiment meines Lieblings-Discounters, der ein bundesweites, flächendeckendes Filialnetz und somit auch eine Filiale in Bensheim betreibt. Zuhause nennen wir ihn immer »Château Aldi Sud«.
    Dennoch musste ich die Verknappung pflegen und ließ es bei einem 6er-Karton bewenden. Ich löste die Etiketten von den Flaschen sowie die Kapseln von den Hälsen und ließ die vermeintlich kostbare Fracht zusammen mit meiner Visitenkarte per Kurier auf Schloss Alserbach bringen. Geld dafür wollte ich selbstverständlich keines.
    Nach ein paar Tagen kam Leuster in mein Büro und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Ich erhob mich, dachte, er wolle sich bei mir bedanken.
    »Erlinger!«, hob er an, »nun hören Sie endlich mit Ihrer verdammten Geheimniskrämerei auf und sagen Sie mir auf der Stelle, woher Sie diesen Château Soundso haben.«
    Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Es geht nicht, ich habe es dem Winzer versprochen«, log ich tapfer. »Es soll ein Geheimtipp bleiben«.
    »Ich befehle es Ihnen aber«, drohte er mir.
    Ich verschloss mich.
    Als er merkte, dass er bei mir nicht weiterkam, wurde er zutraulich, freundschaftlich, jovial. Er stellte mir sogar eine Beförderung in Aussicht. Seit Jahren warte ich darauf, aber ich konnte das Angebot nicht annehmen.
    »Ich besorge Ihnen den Wein«, war alles, was ich in meiner Situation versprechen konnte, ohne mich, den kleinen Betrüger, und ihn, den großen Weinkenner, bloßzustellen. »Ich versuche so viele Flaschen wie möglich zu bekommen. Aber ich kann einen Wein wie diesen nicht länger umsonst abgeben, Sie verstehen?«
    »Geld spielt keine Rolle. Beeilen Sie sich, Erlinger. Ich erwarte in den nächsten Tagen Gäste. Ranghohe Diplomaten! Ich gebe Ihnen für die Beschaffung zwei Tage frei. Ich will diesen Wein, haben Sie verstanden?«
    O ja, ich hatte verstanden, ich saß in der Klemme.
    Denn bei dem einen Diplomatenempfang blieb es nicht, Leuster ließ nicht locker, er forderte immer weiter, er wollte immer mehr, er war unersättlich.
    Und ich? Ich kannte keinen Feierabend mehr. Kartonweise schleppte ich den Wein zu mir nach Hause. Ein Glück, dass er kein saisonales Sonderangebot meines Lieblings-Discounters gewesen war. Bange hoffte ich, dass er noch lange lieferbar war.
    Ich nahm 148 Euro pro Flasche plus Porto. Ohne Rechnung, wie man es unter Weinhändlern so macht, sagte ich. Leuster nannte das einen Spottpreis.
    Die Differenz zwischen Einkauf und Verkauf war eine kleine Entschädigung für meine Aufregung, das Umherfahren von einer Filiale zur nächsten, das Ein- und Ausladen, das Herauf- und Heruntertragen und die langwierige Prozedur des Ablöse-Vorgangs der Etiketten unter warmem Wasser. Von den Benzin- und Wasserkosten ganz zu schweigen.
    Ich selbst gönnte mir keinen Schluck mehr von meinem Hauswein, jede Flasche reichte ich weiter.
    Eines Tages kam mir Leuster in seinem Jaguar entgegen, als ich gerade aus der Straße bog, in der sich eine Filiale befand. In meinem Kofferraum standen sechs Kartons. Leuster saß im Fond, schlug seinem Chauffeur auf die Schulter und hob seine rechte Hand, die ein imaginäres Glas hielt, an seinen Mund.
    Ich baute fast einen Unfall. So konnte es nicht weitergehen, beschloss ich. Lieferant oder Empfänger? Einer musste von der Bühne abtreten. Die Frage wer, war schnell geklärt.
    In meinem kleinen chemischen Betrieb standen mir alle Türen offen. Schon am nächsten Tag, als die Belegschaft in der Mittagspause war, mischte ich einen tödlichen Cocktail aus Arsen, Strychnin sowie Zyankali, kippte das Teufelszeug in einen klebrig-süßen Dessertwein und hoffte, dass er alles Bittere neutralisierte. Selbstverständlich konnte ich nicht probieren.
    Ich füllte die Mischung in eine kleine, namenlose Flasche und schickte sie in einer anonymen Sendung an Leuster persönlich. Ich wusste,

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