Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi
Wahl mehr, es war beschlossene Sache, und wie eine Idiotin stände sie vor Viola da, wenn sie jetzt kalte Füße bekäme.
Sie legte die genaue Stelle fest, wo ihr Slip enden musste, damit man nur die Tätowierung sah, nicht aber die Narbe, die unmittelbar darunter anschloss. Dann zog sie eine Jeans drüber, ein T-Shirt und ein Sweatshirt, das weit genug war, um alles zu kaschieren, das Tattoo, die Narbe und auch ihre
hervorstehenden Hüftknochen, und verließ das Bad, um Soledad in der Küche bei der Zubereitung ihrer Spezialität, der ecuadorianischen Zimtspeise, zuzuschauen.
12
Mit tiefen, langen Zügen atmete Denis den Geruch im Wagen ein, einen leicht säuerlichen Schweißgeruch, der weniger von Menschen zu stammen schien als vielmehr von den feuerfesten Sitzbezügen sowie etwas Feuchtem, das schon zu lange irgendwo lag, vielleicht unter den Fußmatten. Denis empfand dieses Gemisch wie einen warmen Umschlag, der sein Gesicht umhüllte.
Am liebsten hätte er die ganze Nacht in Pietro Balossinos Wagen verbracht, wäre weiter kreuz und quer durch die im Halbdunkel liegenden Straßen am Hügel gefahren, während die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge immer wieder das Gesicht seines Freundes erfassten, es erhellten und schnell wieder in die Dunkelheit eintauchen ließen, wie um es zu schonen.
Mattia saß neben seinem Vater auf dem Beifahrersitz. Denis, der heimlich die völlige Ausdruckslosigkeit beider Gesichter beobachtete, kam es so vor, als hätten Vater und Sohn sich darauf geeinigt, während der ganzen Fahrt kein einziges
Wort miteinander zu wechseln und dafür zu sorgen, dass sich ihre Blicke nicht einmal versehentlich kreuzten.
Ihm fiel auf, dass die beiden auf die gleiche Weise Gegenstände griffen. Sie umrahmten diese mit angespannten Fingern, ohne sie wirklich zu umfassen, als hätten sie Angst, das, was sie in der Hand hielten, zu zerdrücken. So schien Signor Balossino das Lenkrad kaum zu berühren, während Mattias erschreckend verunstaltete Hände die Kanten des Geschenks entlangstrichen, das seine Mutter für Viola gekauft hatte und das er jetzt auf den geschlossenen Beinen hielt.
»Du gehst also mit Mattia in eine Klasse«, zwang sich Signor Balossino halbherzig zu fragen.
»Genau«, antwortete Denis, mit zu hoher Stimme, die sich wie zu lange in der Kehle eingeklemmt anhörte. »Wir sitzen nebeneinander.«
Mattias Vater nickte ernst und gab sich dann wieder, mit seinem Gewissen im Reinen, den eigenen Gedanken hin. Mattia schien diesen Gesprächsanlauf noch nicht einmal bemerkt zu haben, denn er schaute unentwegt durch das Wagenfenster. Er versuchte zu ergründen, ob die Wahrnehmung des gestrichelten Mittelstreifens als eine durchgezogene Linie lediglich auf die verlangsamte Reaktion seines Auges oder auf einen komplizierteren Mechanismus zurückzuführen war.
Pietro Balossino hielt ungefähr einen Meter vor dem gro-ßen Tor des Anwesens der Familie Bai und zog die Handbremse, weil die Straße leicht abfiel.
»Am Betteltuch scheinen sie ja nicht zu nagen, die Eltern eurer Freundin«, bemerkte er, indem er den Kopf reckte, um einen Blick über das Tor zu werfen.
Weder Denis noch Mattia hatten Lust zuzugeben, dass sie von diesem Mädchen gerade einmal den Namen kannten.
»Ich komme euch dann um zwölf abholen, einverstanden?«
»Um elf«, antwortete Mattia sofort. »Sagen wir elf.«
»Um elf? Aber wir haben doch schon neun. Was wollt ihr
denn dort für gerade mal zwei Stunden?«
»Um elf«. Mattia ließ sich nicht umstimmen.
Pietro Balossino schüttelte den Kopf und sagte: okay.
Mattia stieg aus, und Denis tat es ihm widerwillig nach. Er war besorgt, dass Mattia auf diesem Fest neue Leute kennenlernen könnte, lustige, angesagte Typen, die ihm mit einem Fingerschnalzen den Freund für immer nahmen. Er hatte Angst, nie wieder mit Mattia in diesem Wagen zu fahren.
Artig verabschiedete er sich von Mattias Vater und reichte ihm auch die Hand, um sich erwachsen zu geben. Pietro Balossino war zu einer linkischen Verrenkung genötigt, um sie zu drücken, ohne den Sicherheitsgurt lösen zu müssen.
Die beiden warteten, wie angewurzelt vor dem Tor stehend, bis der Wagen gewendet hatte, und entschlossen sich dann endlich zu läuten.
Alice hockte zusammengesunken an einem Ende des weißen Sofas. In der Hand ein Glas Sprite, betrachtete sie aus den Augenwinkeln die massigen Oberschenkel von Sara Turletti in der dunklen Strumpfhose. Auf das Sofa gepresst, wirkten sie noch
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