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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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verdutzten Mienen eingestanzt war die Frage, wie lange er schon dort draußen gestanden hatte.
    Mattia richtete den Blick auf eine Punkte zwischen ihnen. Ich habe Freunde, sagte er nur, und Samstag bin ich zu einer Party eingeladen. Dann ging er weiter Richtung Flur und verschwand in seinem Zimmer.

11
    Der Tätowierer hatte Alice misstrauisch angeblickt und dann diese Frau mit der arg dunklen Haut und dem ängstlichen Blick gemustert, von der das Mädchen gesagt hatte: Sie ist meine Mutter. Nicht eine Sekunde lang hatte er der Kleinen geglaubt. Aber das war nur ihre Angelegenheit. Streitigkeiten mit Eltern und launische Teenager erlebte er ständig. Seine Kunden wurden ja immer jünger. Die hier ist bestimmt noch nicht siebzehn, dachte er. Aber deswegen einen Auftrag abzulehnen, konnte er sich nicht erlauben. Er hatte der Frau einen Stuhl angeboten, und jetzt saß sie da, die Handtasche auf den Knien mit beiden Händen fest umklammert. Sie schien nur darauf zu warten, sofort wieder aufzubrechen. Überallhin wanderte ihr Blick, nur nicht in Richtung der Nadel.
    Das Mädchen verzog keine Miene. Ob es wehtue, fragte er sie - eine Frage, die er stellen musste -, aber sie antwortete Nein und biss die Zähne zusammen.
    Zum Schluss empfahl er ihr, die Mullbinde mindestens drei Tage drauf zu lassen und die Wunde eine Woche lang
morgens und abends zu reinigen. Dann schenkte er ihr noch ein Döschen Vaseline und steckte sich das Geld in die Tasche.
    Daheim im Badezimmer zog Alice das weiße Heftpflaster ab, mit dem der Verband befestigt war. Ihre Tätowierung war erst einige Stunden alt, aber sie hatte sie sich schon dutzende Male angesehen. Und mit jedem Blick verlor sich etwas von der Erregung, wie glitzerndes Wasser einer Pfütze, das in der Augustsonne verdampft. Dieses Mal machte sie sich nur Gedanken, weil die Haut um das Motiv herum so gerötet war. Sie fragte sich, ob diese Haut wohl jemals wieder ihre natürliche Farbe annehmen würde, und einen Moment lang schnürte die Panik ihr die Kehle zu. Dann verscheuchte sie diese blöde Sorge. Sie hasste es, dass ihr alles, was sie erlebte, gleich so unumkehrbar, so schicksalhaft vorkam. Die Bürde der Konsequenzen nannte sie das bei sich und war überzeugt, dass sie auch dieses Hindernis, das mit den Jahren ein fester Bestandteil ihres Denkens und Fühlens geworden war, ihrem Vater zu verdanken hatte. Wie sehnte sie sich nach der Unbekümmertheit anderer gleichaltriger Jugendlicher, nach deren grundloser Überzeugung, unsterblich zu sein. Sie wünschte sich die ganze Leichtigkeit ihrer fünfzehn Jahre, doch wenn sie sie zu greifen versuchte, spürte sie plötzlich, mit welcher Eile ihr die Zeit der Jugend entglitt. So wurde die Bürde der Konsequenzen wirklich unerträglich, und ihre Gedanken drehten sich immer schneller, in noch engeren Kreisen.
    Im letzten Moment hatte sie es sich anders überlegt. Dem Tätowierer, der dieses surrende Gerät bereits in Gang gesetzt hatte und mit der Spitze auf ihren Bauch zukam, sagte sie es mit genau diesen Worten: Ich hab’s mir anders überlegt. Wenig überrascht, fragte er, ob sie es ganz sein lassen wolle,
worauf sie antwortete, nein, nein, aber keine Rose, sondern ein Stiefmütterchen.
    Der Tätowierer schaute sie verdutzt an und gestand dann, nicht so genau zu wissen, wie ein Stiefmütterchen aussehe. So ähnlich wie eine Margerite, erklärte Alice ihm, mit drei Blütenblättern oben und zwei unten. Und zwar violett. Der Tätowierer hatte genickt und sich an die Arbeit gemacht.
    Alice betrachtete das violette Blümchen, das ihren Bauchnabel einrahmte, und fragte sich, ob Viola begreifen würde, dass sie es für sie getan hatte, aus Freundschaft zu ihr. Vor Montag würde sie ihr das Stiefmütterchen aber nicht zeigen. Von der Kruste befreit und klar hervorstechend auf der hellen Haut, wollte sie es ihr präsentieren. Sie ärgerte sich, dass sie nicht schon früher darauf gekommen war, und stellte sich vor, wie es gewesen wäre, diesem Jungen, den sie zur Party eingeladen hatte, heimlich eine Tätowierung zeigen zu können. Vor zwei Tagen hatte er plötzlich mit seiner abwesenden Miene vor ihnen beiden, Viola und ihr, gestanden. Wir kommen doch zu dieser Party, sagte er und ließ Viola noch nicht einmal die Zeit, eine abfällige Bemerkung zu machen, da war er schon mit gesenktem Kopf, ihnen den Rücken zuwendend, durch den Flur entschwunden.
    Alice war sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich küssen wollte. Aber jetzt hatte sie keine

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