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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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Gleichaltrigen um ihn herum gingen mit ihren Freundinnen aus und führten ein Sexualleben, das es ihnen ersparte, ständig über Sex reden zu müssen. Denis spürte, dass für ihn der einzige Ausweg dieses Stück Zeitungspapier war, diese Adresse, die der Schweiß seiner Fingerkuppen schon ein wenig verwischt hatte.
    Ohne es groß zu planen, machte er sich an einem regnerischen Abend dorthin auf. Er zog die erstbesten Sachen über, die ihm im Kleiderschrank in die Finger kamen, und verließ
die Wohnung. Seinen Eltern rief er vom Flur aus zu: »Ich geh ins Kino.«
    Zwei-, dreimal ging er an dem Lokal vorüber und drehte jedes Mal wieder eine ganze Runde um den Block. Schließlich trat er ein, mit den Händen in der Tasche und einem vertraulichen Kopfnicken für den Türsteher, setzte sich an den Tresen, bestellte sich ein Bier und trank es in kleinen Schlucken, wobei er unentwegt auf die an der Wand vor ihm aufgereihten Flaschen starrte.
    Nicht lange, und ein Typ stellte sich zu ihm, und noch bevor er ihm richtig ins Gesicht geschaut hatte, beschloss Denis, dass er mit ihm gehen würde. Der Typ fing ein Gespräch an, erzählte etwas von sich, wohl auch von irgendeinem Film, den Denis nie gesehen hatte. Er brüllte ihm förmlich ins Ohr, aber Denis hörte gar nicht zu. Stattdessen unterbrach er ihn irgendwann abrupt, indem er sagte: Lass uns auf die Toilette gehen. Der andere verstummte und lächelte dann mit seinen schlechten Zähnen. Wie hässlich er aussah, dachte Denis, die Augenbrauen fast zusammengewachsen und alt, zu alt, aber das war egal.
    In der Kabine schob ihm der Typ das T-Shirt hoch und beugte sich vor, um ihn zu küssen, doch Denis zog den Kopf zurück. Er kniete sich vor ihn hin und knöpfte ihm die Hose auf. Du hast’s aber verdammt eilig, sagte der andere, ließ ihn dann aber machen. Denis schloss die Augen und versuchte, schnell fertig zu werden.
    Mit dem Mund schaffte er es nicht, und er kam sich wie ein Tollpatsch vor. So nahm er die Hände, alle beide, und ließ nicht mehr ab. Während der andere kam, kam auch er selbst, in die Kleider. Er verließ das Klo, rannte fast hinaus, noch bevor sich der Unbekannte wieder angezogen hatte. Die
Schuldgefühle aber, dieselben wie immer, warteten hinter der Toilettentür auf ihn und kamen wie eine eiskalte Dusche auf ihn herab.
    Draußen streifte er dann eine halbe Stunde umher, auf der Suche nach einem Brunnen, wo er sich diesen Geruch abwaschen konnte.
    Er suchte noch einige Male das Lokal auf, unterhielt sich jedes Mal mit einem anderen und ließ sich immer einen Vorwand einfallen, um nicht seinen Namen verraten zu müssen. Mit keinem ging er mehr mit. Er sammelte die Geschichten von anderen, die so waren wie er, und hielt die meiste Zeit den Mund. Nach und nach begriff er, dass sich die Geschichten alle ähnlich waren, dass es einen festen Weg gab, dem alle folgen mussten, und dieser Weg sah vor, ganz einzutauchen, tief runterzugehen mit dem Kopf, bis man am Boden war, und erst dann wieder hochzukommen und Luft zu schnappen.
    Jeder dieser Männer hatte erlebt, dass eine Liebe, so wie seine zu Mattia, von allein im Herzen verdorrt war. Jeder von ihnen hatte Angst gehabt, und viele quälte sie immer noch, jedoch nicht, wenn sie dort in der Kneipe waren, im Kreis der anderen, die sie verstehen konnten, im Schutz der Szene , wie sie es nannten. Wenn Denis sich mit diesen Fremden unterhielt, fühlte er sich weniger allein, und er fragte sich, wann der Moment kommen würde, da er ganz am Boden war, und wann der Tag, da er endlich wieder Luft holen konnte.
    Eines Abends erzählte ihm jemand von den Grablichtern. So nannte man in der Szene den Weg, der hinter dem großen Friedhof entlangführte und der nur vom Kerzenlicht der Gräber erhellt wurde, das matt und flackernd durch die Gitterstäbe des breiten Friedhofstores fiel. Dorthin tastete man
sich vor, es war der geeignete Ort, um sich von der Lust wie von einer Last zu befreien, ohne etwas zu sehen oder gesehen zu werden, indem man seinen Körper einfach der Finsternis hingab.
    Es geschah bei den Grablichtern, dass Denis ganz unten ankam, hart aufschlug mit Gesicht, Brust und Knien, wie bei einem Sprung in zu seichtes Wasser. Nach diesem einen Mal suchte er das Lokal nie mehr auf und zog sich wieder, noch beharrlicher als zuvor, ganz in seine Verleugnungshaltung zurück.
    Im sechsten Semester ging er an eine Universität in Spanien. Und dort, abseits der allgegenwärtigen Blicke seiner Familie und seiner

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