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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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Kilometern Koaxialkabel und gespeist von etwas, das sie nicht hätten benennen können und das es vielleicht, wenn sie genauer darüber nachgedacht hätten, gar nicht mehr gab.
    »Also, vergiss es nicht«, sagte Pietro schließlich.

    »Nein, keine Sorge.«
    »Und versuch, es dir gut gehen zu lassen.«
    »Okay. Grüß Mama von mir.«
    Sie legten auf.
    Für Mattia bedeutete dies das Ende des Tages. Er ging um den Tisch herum und warf einen flüchtigen Blick auf den Stapel Blätter an einer Seite, die Arbeit, die er sich von der Uni mit nach Hause genommen hatte. Immer noch hingen sie an derselben Stelle fest. Egal, von wo aus er und Alberto die Beweisführung in Angriff nahmen, früher oder später gelangten sie an diesen Punkt, wo es nicht mehr weiterging. Dabei spürte er, dass dies die letzte Hürde war. Hätte man diese einmal überwunden, wäre es so leicht, zur Lösung zu gelangen, wie mit geschlossenen Augen eine Wiese hinunterzurollen.
    Er war zu müde, um sich noch einmal an die Arbeit zu setzen. Stattdessen ging er in die Küche und ließ aus dem Hahn Wasser in einen kleinen Topf laufen. Den stellte er auf den Herd und zündete die Gasflamme an. Er verbrachte so viel Zeit allein, dass ein anderer an seiner Stelle innerhalb eines Monats den Verstand verloren hätte.
    Er setzte sich auf den Plastikklappstuhl an den Tisch, ohne sich ganz entspannen zu können, und blickte hoch zu der Glühbirne, die erloschen in der Mitte der Decke hing. Gerade einmal einen Monat nach Mattias Einzug war sie kaputtgegangen, und er hatte sie nie ausgewechselt, sondern aß bei brennendem Licht im anderen Zimmer.
    Hätte er an diesem Abend die Wohnung einfach verlassen, ohne zurückzukehren, so wären die einzigen Spuren seines Aufenthalts hier die mit unverständlichen Dingen beschriebenen Blätter auf dem Tisch gewesen. Er hatte keine eigenen Möbel in die Wohnung gebracht, sondern die nichtssagende
Einrichtung in heller Eiche übernommen und diese vergilbten Tapeten an den Wänden gelassen, die wohl dorthingen, seit das Haus gebaut worden war.
    Er stand auf, goss das kochende Wasser in eine Tasse und tauchte einen Teebeutel hinein. Die Gasflamme brannte noch mit einem im Halbdunkel aggressiv blauen Licht. Er drehte das Gas so weit hinunter, dass das Zischen kaum noch zu hören war, und ließ von oben langsam seine Hand auf die Flamme sinken. Die Hitze erzeugte einen leichten Druck auf seiner vernarbten Haut. Mattia ließ die Hand weiter sinken und schloss sie fest um die Flamme.
     
    Noch heute, nach den Hunderten, ja Tausenden immergleicher Tage in der Universität und ebenso vielen Mittagessen, die er in der Mensa, in dem niedrigen Gebäude im hinteren Teil des Campus, eingenommen hatte, dachte er manchmal daran zurück. Dachte zurück an seinen ersten Tag, als er dort in der Mensa den anderen den genauen Ablauf aller Gesten abzuschauen versuchte hatte. Er hatte sich in der Schlange angestellt und sich Schritt für Schritt auf die aufgetürmten Tabletts aus Holzimitat zubewegt, sich eines genommen, eine Papierserviette daraufgelegt und sich dann mit Besteck und einem Glas ausgerüstet. Als er schließlich vor der Köchin in ihrer weißen Montur stand, die die Portionen verteilte, zeigte er aufs Geratewohl auf eine der drei Aluminiumformen, worauf die Frau ihn etwas in ihrer Sprache oder auch auf Englisch fragte, was er jedenfalls nicht verstand. Noch einmal zeigte er auf dieselbe Form, mit dem gleichen Ergebnis: Die Frau wiederholte ihre Frage. I don’t understand , sagte er mit seiner ungeschliffenen Aussprache, indem er den Kopf schüttelte, während die Frau die Augen verdrehte und mit
dem noch leeren Teller auf und ab wedelte. She’s asking if you want a sauce , sagte da eine Männerstimme hinter ihm. Verwirrt fuhr Mattia herum. Ich … I don’t … Bist du Italiener, fragte der andere da. Ja. Sie hat dich gefragt, ob sie dir noch eine Sauce über den Fraß kippen soll. Mattia schüttelte benommen den Kopf. Der andere drehte sich zu der Köchin um und sagte einfach Nein. Sie lächelte ihn an, füllte endlich Mattias Teller und ließ ihn auf die Abstellfläche gleiten. Der andere wählte das Gleiche, und bevor er seinen Teller aufs Tablett stellte, führte er ihn zur Nase und schnüffelte, angewidert das Gesicht verziehend, daran herum. Ist das eklig, murmelte er.
    Du bist wohl ganz neu hier, sagte er nach einer Weile, immer noch auf den Matsch auf seinem Teller starrend. Mattia bejahte, und der andere nickte

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