Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi
versteifen. Noch ein wenig mehr Belichtungszeit gab sie drauf, um jene Weichzeichnung zu erhalten, die, wie Crozza meinte, so sehr nach Ewigkeit aussah.
Beim Auszug aus der Kirche bewegte sich Alice rückwärts humpelnd und ein wenig gebückt, um nicht zu verzerren, vor dem Brautpaar her und sah durch das Objektiv, dass Viola sie mit einem bemühten, erschrockenen Lächeln anblickte, als sehe sie ein Gespenst, das all die anderen nicht erkennen konnten. In kurzen Abständen ließ ihr Alice den Blitz ins Gesicht flammen, vielleicht fünfzehn Mal, bis die Braut nicht mehr anders konnte, als die Augen zusammenzukneifen.
Sie beobachtete, wie das Paar in den Wagen stieg, und sah, dass ihr Viola durchs Seitenfenster einen verstohlenen Blick zuwarf. Mit Sicherheit würde sie nun ihrem Mann von ihr erzählen, würde feststellen, wie seltsam es doch war, sie hier auf ihrer Hochzeit anzutreffen, diese Magersüchtige aus der Schule, wie Viola sie ihm mit Sicherheit beschreiben würde, die Hinkende, ein etwas wunderliches Mädchen, mit dem sie eigentlich nie etwas zu tun hatte. Die Geschichte mit dem Fruchtbonbon würde sie nicht erwähnen, auch nicht die Party und alles, was damit zusammenhing. Alice lächelte bei dem Gedanken, dass dies vielleicht die erste Halbwahrheit ihrer Ehe werden könnte, der erste jener winzigen Spalten, die sich in einer Beziehung bilden und in die es das Leben früher oder später schafft, einen Dietrich einzuführen, um sie auszuhebeln.
»Signorina, das Brautpaar wartet an der Uferpromenade auf Sie«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Alice drehte sich um und erkannte einen der Trauzeugen.
»Ja, natürlich. Ich fahr gleich los.«
Sie eilte in die Kirche zurück, um ihre Gerätschaften abzubauen. Während sie noch die verschiedenen Kamerateile im Fotokoffer verstaute, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
»Alice?«
Sie hätte sich gar nicht umdrehen müssen, um zu wissen, von wem die Stimme kam.
»Ja?«
Vor ihr standen Giada Savarino und Giulia Mirandi.
»Ciao«, rief Giada mit endlos in die Länge gezogenem o, indem sie sich vorbeugte, um Alice auf die Wangen zu küssen.
Giulia blieb im Hintergrund und hatte den Blick auf die Füße gerichtet, genauso wie früher auf dem Gymnasium.
Alice hielt die Lippen geschlossen, während ihre Wange nur andeutungsweise die von Giada streifte.
»Was machst du denn hier?«, kreischte diese.
Dumme Frage, dachte Alice und musste lächeln.
»Ich mache die Fotos.«
Giada registrierte die Antwort mit einem Lächeln und zeigte dabei dieselben Grübchen, die sie auch schon mit siebzehn hatte.
Es war merkwürdig, die beiden hier zu treffen, quicklebendig, mit diesem Stückchen gemeinsamer Vergangenheit, das plötzlich gar nicht mehr zählte.
»Ciao Giulia«, zwang sich Alice zu sagen.
Giulia lächelte und brachte nur mühsam eine Antwort über die Lippen: »Wir haben das von deiner Mutter gehört. Es tut uns sehr leid.«
Giada nickte dazu, mehrmals, um ihre Anteilnahme zu bekunden.
»Tja, danke«, antwortete Alice und fing an, eilig ihre Sachen zusammenzupacken. Giada und Giulia schauten sich an.
»Dann lassen wir dich jetzt weiterarbeiten«, erklärte Giada, indem sie Alices Schulter streifte. »Du hast sicher eine Menge zu tun.«
»Okay.«
Sie wandten sich ab und hielten aufs Portal zu, während das trockene Klacken ihrer Absätze von den Wänden der jetzt leeren Kirche widerhallte.
Die Brautleute standen, ohne einander zu umarmen, im Schatten eines mächtigen Baumes und warteten. Alice parkte neben dem Porsche und stieg mit der Tasche über der Schulter aus. Es war heiß, und die Haare klebten ihr am Nacken.
»Ciao«, sagte sie, indem sie näher trat.
»Ali, ich hab ja gar nicht gewusst, dass du …«
»Ich auch nicht«, unterbrach Alice sie.
Sie taten nur so, als würden sie sich umarmen, so als wollten sie ihre Kleider nicht zerknautschen. Viola war noch schöner als damals auf dem Gymnasium. Mit den Jahren waren ihre Gesichtszüge sanfter geworden, die Umrisse weicher, und ihre Augen hatten dieses Flackern verloren, das sie so einschüchternd hatte wirken lassen. Und ihre Figur wirkte nach wie vor perfekt.
»Das ist Carlo«, stellte Viola den Bräutigam vor.
Alice drückte ihm die Hand, die sich glatt anfühlte.
»Können wir anfangen?«, kam sie gleich zur Sache.
Viola nickte und suchte den Blick ihres Gatten, doch der merkte es nicht.
»Wo sollen wir uns hinstellen?«, fragte sie.
Alice blickte sich um. Die Sonne stand am
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