Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
Vom Netzwerk:
stirnrunzelnd, so als wäre das eine ernste Sache. Nachdem er bezahlt hatte, stand Mattia mit dem Tablett in Händen wie angewurzelt hinter der Kasse und hielt Ausschau nach einem freien Tisch im hinteren Teil des Saales, wo er allen den Rücken zukehren und, während er allein aß, nicht zu viele auf sich gerichtete Blicke spüren würde. Kaum hatte er aber einen Schritt in diese Richtung gemacht, als der andere schon bei ihm war und Komm mit, da rüber zu ihm sagte.
    Alberto Torcia arbeitete hier seit vier Jahren an der Universität, auf einer unbefristeten Stelle in der Forschung, die von der Europäischen Union aufgrund der Qualität seiner letzten Veröffentlichungen finanziert wurde. So wie er selbst war auch Alberto vor irgendetwas zu Hause abgehauen, doch Mattia hatte ihn nie eingehender danach gefragt. Auch nach den vielen Jahren ihrer Bekanntschaft, und obschon sie sich ein Büro teilten und täglich zusammen zu Mittag aßen, hätte
keiner der beiden sagen können, ob der andere nun eher Freund oder Kollege war.
     
    Es war Dienstag. Alberto saß Mattia gegenüber und erkannte durch das gefüllte Wasserglas, das dieser sich an den Mund führte, das neue bläuliche, kreisrunde Mal auf dessen Handfläche. Er stellte keine Fragen, sah ihn nur schief an, um ihm zu verstehen zu geben, dass es ihm nicht verborgen geblieben war. Gilardi und Montanari, die mit ihnen am Tisch saßen, lachten laut über irgendetwas, was sie im Internet entdeckt hatten.
    Mattia leerte sein Glas auf einen Zug und räusperte sich.
    »Gestern Abend bin ich auf eine Idee gekommen, bezüglich der Unstetigkeit, die …«, begann er.
    »Ich bitte dich, Matti«, unterbrach ihn Alberto, indem er seine Gabel neben den Teller fallen ließ und sich theatralisch, wie es seine Art war, zurücklehnte. »Verschon mich wenigstens beim Essen …«
    Mattia senkte den Kopf. Das Fleisch auf seinem Teller war in kleine, exakt gleich große Quadrate zerschnitten, die er jetzt, ein regelmäßiges Gitter weißer Linien schaffend, voneinander trennte.
    »Kannst du dich abends nicht mal mit was anderem beschäftigen?«, fuhr Alberto fort, leiser jetzt, damit die anderen beiden ihn nicht hörten. Während er redete, zeichnete er mit dem Messer kleine Kreise in die Luft.
    Mattia sagte nichts, schaute ihn auch nicht an und führte stattdessen eines der ganz außen liegenden kleinen Fleischquadrate zum Mund, die mit ihren ausgefransten Rändern die geometrische Ordnung der Komposition störten.
    »Du könntest doch ab und zu mal mit uns einen trinken gehen …«, sprach Alberto weiter.

    »Nein«, entgegnete Mattia trocken.
    »Aber …«
    »Du weißt es doch längst.«
    Alberto schüttelte resigniert den Kopf und legte die Stirn in Falten. Hin und wieder versuchte er es eben. Aber in all den Jahren, seit sie sich kannten, war es ihm nicht öfter als vielleicht zehn Mal gelungen, Mattia abends aus dem Haus zu locken.
    Jetzt wandte er sich an die anderen beiden und unterbrach deren Gespräch.
    »He, habt ihr die da gesehen?«, meinte er, indem er auf eine junge Frau zeigte, die zwei Tische weiter mit einem älteren Herrn zusammensaß. Soweit Mattia informiert war, lehrte der am Fachbereich Geologie. »Wäre ich nicht verheiratet, mein Gott, was würde ich mit so einer Frau anstellen.«
    Die beiden anderen zögerten einen Moment, weil diese Bemerkung nun gar nichts mit ihrem Gesprächsthema zu tun hatte, gingen dann aber auf Alberto ein und phantasierten mit ihm darüber, wie wohl eine solch scharfe Braut am Tisch dieses alten Schwätzers hatte landen können.
    Währenddessen teilte Mattia alle Quadrate längs der Diagonalen und legte die Dreiecke so zusammen, dass sie ein neues, größeres Dreieck bildeten. Das Fleisch war mittlerweile kalt und zäh. Er nahm ein Stück und schluckte es im Ganzen, fast unzerkaut hinunter. Den Rest ließ er auf dem Teller liegen.
    Draußen vor der Mensa steckte sich Alberto eine Zigarette an, um Gilardi und Montanari Zeit zu geben, sich zu entfernen. Er wartete auf Mattia, der ein paar Schritte zurückgeblieben war, mit gesenktem Kopf auf ihn zukam und sich dabei gedankenversunken von einem schnurgeraden Riss längs des Gehweges führen ließ.

    »Was wolltest du mir vorhin zur Unstetigkeit sagen?«, fragte er.
    »Nicht so wichtig.«
    »Komm, stell dich nicht so blöd an.«
    Mattia betrachtete den Kollegen. Die Spitze der Zigarette zwischen dessen Lippen war die einzige intensive Farbe an diesem trüben Tag, der sich in nichts von dem

Weitere Kostenlose Bücher