Die Einsamkeit des Chamäleons
Angst einflöÃend. Lutz Rotter hatte nie Angst gehabt im Leben. Mit Angst in den Knochen lieà sich auf der StraÃe nicht lange überleben. Aber dieser Typ gab ihm ein komisches Gefühl, das aus allen Ecken seiner kleinen Metallbuchte auf ihn zu kroch und ihn dann bis in seinen Schlafcontainer verfolgte.
Lutz Rotter bemerkte nicht, dass sich ihm von hinten jemand näherte. Die Flex machte einen höllischen Krach. Die Tür des Elektrokastens hatte er bereits abgeschliffen. Die Seitenteile dauerten länger. Er hatte sich bemüht, den Dreck abzuwaschen, die Katzenpisse und Schlimmeres. Aber nun flogen nur noch Funken, und das Kreischen der Schleifscheibe verwandelten die dicken Polster seines Ohrenschutzes in ein beinah einschläferndes Rauschen.
Trotz seiner Schutzbrille spürte er das Brennen zuerst in seinen Augen. Er stellte die Flex aus und nahm die Brille und den Ohrenschutz ab. Seine Augen brannten wie Feuer, er rieb darin herum und atmete hastig, was er nicht hätte tun sollen, denn das Brennen nahm nun über die Luftröhre seinen ganzen Körper in Besitz. Nur noch mühsam hielt er sich auf den Beinen, und erst dann, beim Fallen, sah er die Gestalt im Schutzanzug, neben der er auf dem Steinboden aufprallte.
Kapitel 44
Mittlerweile konnte Rebekka die Stelle in Anneliese Ottos Lyrikband auswendig. Sie bemühte sich, die Gedanken an das Gelesene für ein paar Stunden beiseitezuschieben.
Fokus. Im Hier und Jetzt sein. Alles andere danach.
Das graue Jil Sander -Kostüm hatte Rebekka bereits einmal Glück gebracht. Pünktlich zum Beginn fand sie sich in dem gediegenen Raum des Auktionshauses Meisenberger in Berlins Charlottenburg ein. Sie schaute hinauf zu den Kronleuchtern und nach vorn auf ein samtumspanntes Podest, auf das nun das erste Werk getragen wurde, das zu versteigern war. Laut Katalog musste sich Rebekka noch bis zur Nummer zehn gedulden. Erik hatte ihr sogar nahe gelegt, bis zum Schluss zu bleiben, wenn sie etwas lernen wollte, denn dann erst folgten die echten Schätze. Er selbst hatte die Figur, eine Lobi aus Burkina Faso, bereits vor Tagen eingeliefert, was bei Meisenberger schon einem Ritterschlag gleich kam. Aufgrund der vollen Lager der Altbestände an Kunstwerken war es schwer, ein Stück in einer Auktion unterzubringen. Als treuer Käufer und vertrauenerweckender Händler bekam Erik Assmann jedoch immer seine Chance. Und diesmal kam dazu, dass es sich bei der Lobi um ein besonderes Stück handelte, von dem er sich, wie er sagte, tatsächlich nur trennte, weil er dringend Geld brauchte.
Im Stamm der Lobi gab es kaum Handwerker, die auf das Schnitzen von Figuren spezialisiert waren. Jeder Mann konnte von den Göttern den Auftrag erhalten, selbst eine Figur zu schnitzen. Daher besaÃen die Skulpturen eine so groÃe Formenvielfalt.
Rebekkas Schützling aus dunklem Holz, das erstaunlich leicht auf der Hand lag, hatte ein langes Gesicht, hängende Brüste und einen spitzen Bauch. Wirklich alte Skulpturen waren selten, da nicht zuletzt die klimatischen Bedingungen den Holzskulpturen nur eine vergleichsweise geringe Lebensdauer erlaubten. Auch bei diesem Stück gab es keine Altersangabe, nur wenige Stücke hatten überhaupt eine, nicht mal die bei Christieâs und Sothebyâs . Rebekka blätterte im Katalog des Auktionshauses und prägte sich die Details erneut ein, Nummer, Beschreibung und Provenienz. Der heutige Tag war anthrazit und braun, und sie durfte keinen Fehler machen. Nach dem Verkauf würde Erik Assmann mit der Zahlung Geduld haben müssen. Der Käufer wartete meist noch ab, ob sich im Nachhinein Probleme herausstellten bezüglich der Herkunft des Stückes oder seiner Echtheit. Bereits ein Mal hatte Erik eine bittere Pille geschluckt, die ihn aus beruflicher Sicht beinah das Leben kostete. Eine seiner Skulpturen, deren Foto er in seinen Onlinekatalog gestellt hatte, tauchte im Internet als Fälschung auf. Nur Tage später nahm ein Händler Kontakt mit Erik auf. Der Preis, der nun für die Figur verhandelt wurde, war nicht einmal die Hälfte des Einkaufspreises. Erik biss in den sauren Apfel und verkaufte. Genau diese Figur, ebenfalls eine Lobi , wurde einen Monat später in Zürich für eine halbe Million Euro verkauft.
Ganz so viel würde diese nicht bringen, sie war ein kleiner Ladenhüter, durch die Aufnahme in Meisenbergers Katalog jedoch zu einem interessanten
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