Die Einsamkeit des Chamäleons
Auktion?
GroÃartig! (Jetzt rede ich auch schon in amerikanischen Superlativen)
Ein Erfolg?
Absolut.
Finanziell oder eher ⦠ideologisch?
Ideologisch natürlich. Der Erfolg ist meiner, weil ich etwas gelernt habe.
Ich könnte dich anstellen.
Dann müsste ich nach Chicago ziehen.
In das Land der wilden Zwiebeln! Shegahg!
Klingt für mich eher nach Capone, Dillinger und Machine Gun Kelly â¦
⦠und damit nach einer feuchten Kelleretage unter einer stillgelegten â oder schlimmer noch: noch betriebenen â Maschinenhalle â¦
⦠gegen Pfosten getackerte Holzstühle mit einem Delinquenten drauf, dem das Ende seines Lebens schon aus allen Ecken entgegen flieÃtâ¦
Wenn du wüsstest⦠Komm her. Chicago ist der Sound der ratternden Züge, die ich durch mein blindes Werkstattfenster zwar nicht sehen, auf jeden Fall aber hören kann.
Freundlicher als Berlin?
In Chicago hast du nicht die leiseste Chance, auf der StraÃe mit aufgeschlagenem Stadtplan ohne Hilfe davonzukommen.
Deine Stadt ist kleiner als meine.
Sie ist ein See so groà wie ein Meer.
Das klingt nach einer Einladung.
Richtig! Denn vor allem ist Chicago eine Stadt, die man am besten ohne nervendes Rückflug-Ticket besucht.
Aber erst mal bist du hier, wie ich gehört habe.
Ich dachte schon, du kommst nie darauf zu sprechen ⦠Sehen wir uns, Rebekka? ⦠Ich fliege in drei Stunden. Und es wäre schön, vorher noch ein Zeichen von dir zu bekommen.
Wie soll das Zeichen aussehen?
Wie deine Handynummer zum Beispiel.
Gut. Ich habe sie dir gerade geschickt.
Sehr schön, dieses Vibrieren in meiner Hand.
Bevor da noch mehr vibriert, wünsche ich dir einen guten Flug und freu mich auf deinen ersten Anruf.
Ich lande in Tegel. Morgen früh halb zehn. Ich rufe dich an.
Was für ein schöner Satz! Der letzte, meine ich.
Es ist unglaublich, oder? Ich sehe so aus wie auf dem Foto.
Das hoffe ich.
Warum hab ich kein Foto von dir?
Weil ich dann immer noch weglaufen kann.
Ich freu mich trotzdem auf dich.
Und ich mich auf dich. Bis morgen.
Bis morgen.
Rebekka saà auf ihrem Schreibtisch im Vico House und blickte nach unten auf die StraÃe. Das Chili in der kochend heiÃen Nudelsuppe trieb ihr Tränen in die Augen. Sie hatte ihm blauäugig ihre Handynummer gegeben. Andrew Cascone setzte ihre Vernunft auÃer Gefecht. Sie hatte ein Foto von ihm, eine Website, einen Chat voller Schlagfertigkeiten und jede Menge Hoffnung, die ihr den Sinn vernebelte. Keinesfalls durfte Mark etwas von ihrer Schwärmerei wissen, obwohl sie ihn so gern an ihrem Leben teilhaben lieÃ. Immerhin musste sie ertragen, dass er entspannt und lächelnd zu seiner Frau nach Hause ging und umso glücklicher in seiner Ehe war, je besser er sich bei ihr, Rebekka, fühlte. Eines Tages könnte es jemand wie Andrew Cascone sein, der es sie wagen lieÃe, Berlin zu verlassen. Noch hatte sie das Alter und damit die Freiheit, überall neu anzufangen. Ihre Lust darauf stammte noch aus DDR-Zeiten mit Reisevorschriften, mit Ländern, die zu bereisen erlaubt waren, mit Lebenswegen, die genehmigt werden mussten.
Vielleicht hatte sie mit Karl-Heinz Ottos Todesanzeige auf Anneliese Ottos Lyrik stoÃen müssen, damit sie eine unbestrafte Tat erkennen konnte. Vielleicht hatte sie diesen Paravent bestellen und Andrew Cascone kennenlernen müssen, damit sie eines Tages Mark vergessen konnte. Vielleicht gab es tatsächlich keine Zufälle, sondern vorgefertigtes Filmmaterial, das jeder für sich selbst abspielte, wenn ihm danach war, um es dann als Zufall zu verkaufen. Vielleicht folgte Rebekka den unmöglichsten Zusammenhängen, damit sie diese Stadt eines Tages hinter sich lassen konnte, in der sie sich gerade Feinde machte.
Kapitel 47
Andrew Cascones SMS erreichte Rebekka, als sie vor dem Spiegel stand und zufrieden ihr Make-up betrachtete. Es war im wahrsten Sinne nicht zu dick aufgetragen, der morgendlichen Stunde angepasst, und der heutige Tag war rosa. Sie band sich die Haare zu einem Zopf, auf dem Bett lagen ihre Joop-Lederhose und ein rosafarbenes, tailliertes Hemd.
Wenn Sie sparen wollen, geben Sie weniger Geld aus.
Das Radio voll aufgedreht, nahm sie das leise Summen ihres Handys kaum wahr. Erst als sie das leuchtende Display sah, griff sie aufgeregt danach und atmete tief durch. Er war gelandet. Aus Chicago. Nur für sie.
»Heute wird das
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