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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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Messing und Silber. In der Reihe darunter die gleichen Stücke in Tönen von Braun bis Schwarz. Darunter Türkis und Blau und Grün. Darunter alle Schattierungen von Orange bis Rot.
    Essigsäure verschaffte den Bronzeteilen eine blaue Färbung, wie sie kein Himmel über Afrika haben konnte. Erhitztes Ammoniumchlorid auf Kupfersulfat mit destilliertem Wasser ließ ein antikes Grün auf jedem Metall entstehen, eine Landschaft voller verborgener Winkel.
    Auf einem Metalltisch standen zwei Glasgefäße mit hellblauen Lösungen darin, die auf kleiner Flamme köchelten. Auf alten Ziegelsteinen vom Hof lagen patinierte Metallquadrate zum Trocknen.
    Er schaute auf die Uhr. Die zweite Schicht war fällig. Er zog seine Gummihandschuhe an und legte ein Stück in Florentiner Braun auf seine Handfläche. Vorsichtig tauchte er den Schwamm in die Lösung. Strich behutsam über die erste Schicht in der Hoffnung, sie wäre trocken genug und dass nicht mal ein Krümel sich löste. Zufrieden betrachtete er sein Werk und legte es zurück zu den anderen. Nahm dann das zweite, dann das dritte. Eine Stunde später hing eine weitere Reihe farbsatter Metallstücke an der Wand. Eine Landkarte seines Strebens.
    Mit dem letzten Typ hatte er sich eigentlich ganz gut verstanden. Der war nicht ganz so sehr auf den Kopf gefallen wie die anderen vor ihm. Hatte genauso im Müll gehaust wie der restliche Abschaum. Sie alle hatten hier so etwas wie eine Chance bekommen. Die währte zwar nie lange, ihre Zeit lief genauso lange, wie ihre Disziplin währte, und diesbezüglich war jeder eines anderen Vaters Kind, wenn überhaupt. Aber für jeden von ihnen war die Arbeit für 400 Euro und den Hintern abends auf der von Schnapspullen umrandeten Matratze im Warmen mehr, als sie in ihrem ganzen scheiß Leben vorher gehabt hatten.
    Metall wurde geliefert als das, was es war, als Kabel, Autotür, Straßenbahnschiene, Verteilerkasten. Es war widerlich, ekelerregend kalt und benutzt. Daran würde er sich, und das musste er sich nicht erst schwören, nie die Hände schmutzig machen. Doch die Hände dieser Versager waren bereits schmutzig. Da passte kein Dreck mehr drauf, und sie brauchten eine Chance. Nicht dass er sich je als Wohltäter gesehen hatte. Hier wusch eine Dreckhand die saubere. So war das Leben. Und dem Leben war es egal, ob es aus der Gosse kam oder dem Reagenzglas. Es passierte einfach. Und den Lebensabend der kleinen Versager konnte er auch hier passieren lassen.
    Lutz Rotters Tod war in einer grauen Patinierung auf Kupfer an der Werkstattwand verewigt. Für diese Färbung eignete sich die Mischung am besten, die für jegliche Vorführungen in Workshops verboten war. Bei ihrer Zubereitung entstanden Arsen- und Antimonwasserstoff, und ohne Schutzanzug war dieser Prozess des Färbens nicht möglich. Er fand, das satte Grau an seiner Musterwand setzte diesem Mann ein gediegenes, beinah edles Denkmal. Wenn er schon kein Grab für seine letzte Ruhe hatte, weil sein geschredderter Körper wie all die anderen mit dem Müll einer ganzen Gesellschaft im Erdreich ruhten, dann war das hier die Kompensation für diesen etwas pietätlosen Vorgang.
    Dass so kurz nach Lutz Rotter ausgerechnet Karl-Heinz Otto an seiner Werkbank das Zeitliche gesegnet hatte, war ein mehr als unbrauchbarer Zufall gewesen. Es war ein Zeichen, damit aufzuhören. Nicht aus moralischen Gründen mit dem Beseitigen der Hilfsarbeiter. Nicht mit der Kunst. Nur mit der Gewohnheit. Es war zu einfach geworden. Die Jungs beschafften das Material und bereiteten es auf, sie bespannten die Leinwand für seine künftigen Werke. Es ließ sich wunderbar arbeiten mit einem freien Rücken, in dem nur ein paar Zecken steckten, nach denen er sich aber zumindest nicht ständig umdrehen musste. Erst einmal war noch genug da an Material. Die Gutsherrenart des Großen ging ihm zwar wahnsinnig auf die Nerven, aber er hatte recht damit, jetzt einen Gang rauszunehmen und in den Umlauf zu bringen, was da war. Das Maul des Marktes konnten sie locker stopfen, und er würde seinen Werken in aller Ruhe beim Kursieren zuschauen. Jedes einzelne Stück würde mit jedem Verkauf eine neue Patina bekommen, die Griffigkeit und Unverwechselbarkeit, die ihnen keine Chemikalie verleihen konnte, eine Patina von Wert, von Wertschätzung, von Geld.

Kapitel 46
    Hey you – störe ich? Wie war die

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