Die Einsamkeit des Chamäleons
ein schönes Gefühl, wenn sich ihre Recherchen auch einmal im wahren Leben auszahlten, wie jetzt an diesem zwanglosen Abend mit ihren Freunden.
»In der Metallkunst. Bei Andrew Cascone.«
Erik wirkte überrascht. Sein Redefluss von eben schien mit einem Mal versiegt zu sein.
»Sag mal, Rebekka, gibt es eigentlich irgendetwas, worin du dich nicht auskennst?«
»Naja, ganz so viele Themen hatten wir ja noch gar nicht.«
»Nein, aber das Spektrum vom Brandenburger Partyservice zu Andrew Cascones Metallpatinierung ist schon ein breites.«
»Und dazwischen ist nicht viel, muss ich dir ehrlich sagen.«
Ingrid kicherte und schenkte sich noch einen Saft ein. Erik winkte ab. Er schien sich gerade an das Ratatouille im Ofen zu erinnern. Er gab Ingrid einen freundlichen Wink, worauf sie mit dem Glas in der Hand hinter dem Küchentresen verschwand.
»Cascone kommt nach Berlin, weiÃt du davon?«, fragte Erik.
Rebekka konnte ihre Freude nicht verbergen.
»Genau das wollte ich dir eigentlich erzählen und dich fragen, ob du mich nicht zu einem Treffen mit ihm begleiten möchtest.«
Erik lehnte sich zurück und schaute Rebekka forschend und im selben Moment amüsiert von der Seite an.
»Das musst du mir erklären.«
»Andrew Cascone und ich haben ein Date.«
»Ist nicht dein Ernst! Du triffst den Mann, den keiner je zu Gesicht bekommen hat, aber dessen Workshops alle besuchen, auf den hier wahrscheinlich Dutzende Journalisten warten und der eine oder andere hoffnungsvolle Kunstlaie?«
»Genau so ist es. Aber du hast recht«, und damit war es Rebekka tatsächlich ernst, »ich glaube es auch erst, wenn er vor mir steht.«
»Hut ab, Lady. Dein Glück ist eine SchmeiÃfliege, die an dir kleben bleibt.«
Erik schien tatsächlich beeindruckt zu sein. Rebekka fühlte einen gewissen Stolz darüber, ein Gefühl, das ihr im Umgang mit Menschen etwas abhanden gekommen war. Wer keine Verbindungen einging, konnte auch nicht deren schöne Seiten genieÃen.
»Natürlich komme ich mit, das heiÃt«, er blinzelte ihr vertrauensvoll zu, »wenn ich nicht störe.«
»Bevor du wieder da bist, werde ich ihn schon getroffen haben, und vielleicht will er mich ja dann wiedersehen.«
Rebekka kam sich vor wie ein Schulmädchen. Neben den ernsthaften Themen, die sie mit Cascone zu besprechen hatte, hoffte sie auf leichte, schöne, unbeschwerte Momente mit ihm. Und eigentlich auch auf mehr.
»Na, das macht dann die Sache nicht einfacher für mich, aber das Risiko, mich zum Dödel neben zwei Verliebten zu machen, nehme ich auf mich.«
Er nahm Rebekkas Hand in seine.
»Es wäre toll, wenn du das arrangieren könntest. Das meine ich ernst.«
»Essen!«, flötete Ingrid und hatte bereits den Tisch gedeckt.
Kapitel 42
Ihr Bett war eine Kissenburg. Statt noch ein paar Bahnen im Pool zu schwimmen, entschied sich Rebekka, nun endlich mit der Lektüre von Anneliese Ottos Gedichten zu beginnen.
Sie goss eine Chinasuppe auf und legte eine Scheibe Emmentaler auf das Nudelquadrat.
Anneliese Otto hatte nicht viel Zeit mit ihren Kindern verbringen können, doch in der Kürze jedem etwas mit auf den Weg gegeben. Die Jungs wirkten trotzig dem Leben gegenüber. Diese Schutzhülle war dünn wie Seidenpapier und lieà das Pulsieren ihrer Gefühle durchscheinen. Freude und Lust und Trauer und Verletzbarkeit waren genauso spürbar wie die aufgelegte Härte, Zynismus und Aversion.
Rebekka hatte ein ziemlich genaues Bild von der Familie Otto: Die Jungs hatten ihre Mutter ihr Leben lang vermisst und den Vater mehr als geschätzt. Er wurde schon deshalb von ihnen geliebt, weil er ihnen eine Mutter wie Anneliese erobert hatte, die hübsch war und obendrein intelligent, die ihre Meinung vertrat, was ihr genügend Probleme für ein langes Leben eingebracht hätte. Eine feingliedrige, sanfte Frau war sie gewesen. Und Ulrike ihr Abziehbild.
Von der Autorin gab es ein Foto, das auf der Innenklappe aller vier Gedichtbände abgebildet war. Sie schaute von unten in die Kamera. Ihr Haaransatz ragte als Dreieck in die Stirn, die dunklen Locken waren aus der Stirn gekämmt. Ihr Lächeln war breit und wirkte ansteckend, die Zähne makellos. Ihre Augen leuchteten sogar auf diesem winzigen Schwarz-WeiÃ-Foto.
Rebekka blätterte in einem der Bücher. Sie trug alle vier seit Wochen mit sich
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