Die einzige Wahrheit
schnaubte. »Dann solltest du ihm vielleicht erklären, daß eheliche Besuche in einem Staatsgefängnis nicht gerade an der Tagesordnung sind.«
»Ich will gar keine ehelichen Besuche. Ich will kein Baby mehr. Was, wenn ich –« Katie wandte sich ab.
»Was, wenn du was ?« hakte Ellie nach. »Wenn du auch das nächste in einem Augenblick der Schwäche erstickst?«
»Nein!« Katies Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Diese Krankheit, diese Bakterie. Was, wenn sie noch in mir drin ist? Was, wenn ich sie an alle meine Babys weitergebe?«
Über Ellies Kopf zischte die Neonröhre. Sie hob langsam den Blick und sah Katies Reue und wie ihre Finger sich in den Stoff ihres Kleides gruben, als könnte sie diese Krankheit aus sich herauszerren. Sie dachte daran, wie Katie ihr einmal erzählt hatte, daß man alles bekannte, was einem der Diakon vorwarf. Sie dachte daran, daß ein junges Mädchen, das es gewohnt war, von anderen der Sünde bezichtigt zu werden, möglicherweise nach der Aussage des Pathologen die Schuld für etwas auf sich nehmen würde, das in Wirklichkeit ein Unfall war.
Sie blickte Katie an und erkannte plötzlich, wie deren Verstand arbeitete.
Ellie ging quer durch den Raum und packte Katie an den Schultern. »Sag es mir jetzt«, sagte sie. »Sag mir, wie du dein Baby getötet hast.«
»Euer Ehren«, begann Ellie, »ich möchte meine Zeugin noch einmal befragen.«
Sie spürte förmlich, wie George sie ansah, als hätte sie den Verstand verloren, und sie konnte es ihm nicht verdenken: Der angerichtete Schaden – Katies protokolliertes Geständnis – war kaum ungeschehen zu machen. Sie sah zu, wie Katie im Zeugenstand Platz nahm und nervös hin und her rutschte. »Als der Staatsanwalt Sie gefragt hat, ob Sie Ihr Kind getötet haben, haben Sie mit Ja geantwortet.«
»Das stimmt«, erwiderte Katie.
»Als er Sie darum bat, uns zu schildern, wie Sie es getötet haben, wollten Sie nicht antworten.«
»Ja.«
»Ich frage Sie nun: Haben Sie das Baby erstickt?«
»Nein«, murmelte Katie mit gebrochener Stimme.
»Haben Sie das Leben des Kindes vorsätzlich beendet?«
»Nein. Niemals.«
»Wie haben Sie Ihr Baby getötet, Katie?«
Sie holte tief Luft. »Sie haben doch gehört, was der Doktor gesagt hat. Er hat gesagt, ich hätte meinen Sohn getötet, indem ich die Infektion an ihn weitergegeben habe. Wenn ich nicht seine Mutter gewesen wäre, würde er noch leben.«
»Sie haben Ihr Baby ermordet, indem Sie das Listeria-Bakterium in Ihrem Körper an es weitergegeben haben?«
»Ja.«
»Haben Sie das damit gemeint, als Sie Mr. Callahan sagten, Sie hätten Ihr Baby getötet?«
»Ja.«
»Sie haben uns auch erzählt, daß man, wenn man in Ihrer Gemeinde eine Sünde begeht, vor den anderen Mitgliedern bekennen muß.«
»Ja.«
»Wie läuft das ab?«
Katie schluckte. »Das … das ist ganz schrecklich. Zuerst findet der Sonntagsgottesdienst statt. Nach der Predigt kommt noch ein Lied, und dann müssen alle Nichtgetauften den Raum verlassen. Der Bischof ruft deinen Namen, und du mußt direkt vor den Predigern Platz nehmen und ihre Fragen beantworten, so laut, daß die ganze Versammlung dich hören kann. Alle gucken dich an, und dein Herz schlägt so laut, daß du kaum verstehst, was der Bischof sagt.«
»Und wenn man gar nicht gesündigt hat?«
Katie blickte auf. »Wie meinen Sie das?«
»Was, wenn der Diakon sagt, man hätte nackt im Teich gebadet, obwohl es nicht stimmt?«
Katie runzelte die Stirn. »Dann bekennt man trotzdem.«
»Auch wenn man es gar nicht getan hat?«
»Ja. Wenn man nicht zeigt, daß es einem leid tut, wenn man Ausflüchte sucht, dann wird alles nur noch unangenehmer. Es ist schon schwer genug, nach vorn zu den Predigern zu gehen, wenn die eigene Familie und die Freunde zugucken. Man will es einfach hinter sich bringen, damit einem vergeben wird und man wieder aufgenommen wird.«
»Also, in Ihrer Gemeinde muß man bekennen, damit einem vergeben wird. Auch wenn man nichts Unrechtes getan hat?«
»Nun, es wird einem ja nicht ganz ohne Grund eine Sünde vorgeworfen. Es gibt einen Anlaß, meistens. Auch wenn die Geschichte nicht ganz richtig ist, normalerweise hat man tatsächlich irgendwas falsch gemacht. Und wenn man bekannt hat, kommt die Heilung.«
»Beantworten Sie die Frage, Katie«, sagte Ellie mit einem angespannten Lächeln. »Wenn Ihr Diakon sagt, Sie hätten gesündigt, obwohl das nicht zutrifft, würden Sie bekennen?«
»Ja.«
»Verstehe. Also – warum
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