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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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sie einpacken sollte. Keiner konnte sagen, wie lange sie in
Grönland bleiben würden und wie die Umstände vor Ort
waren. Am besten, sie nahm einfach von allem genug mit. Als es an
der Tür klingelte, musste Dóra ihre Reisevorbereitungen
verschieben. Draußen stand ihre Freundin Gugga, breit
grinsend schwenkte sie zwei Weißweinflaschen. »Du musst
mich reinlassen«, sagte sie, so als würde Dóra
ihren Gästen normalerweise die Tür vor der Nase
zuschlagen. »Ich hab mir ein neues Auto gekauft, das muss
gefeiert werden!« Dóra fielen zwar verschiedene
Möglichkeiten ein, einen Autokauf auch ohne Alkohol zu feiern,
aber sie lächelte tapfer zurück. Sie wusste genau, dass
der Wagen mit einem horrenden Kredit finanziert worden war und
Gugga nach sechs Monaten wieder mit einer Flasche vor der Tür
stehen würde, um ihren Kummer über den Schuldenberg und
das gepfändete Auto im Alkohol zu ertränken. Manchmal
musste man eben im Hier und Jetzt leben und sich im Stil König
Ludwigs des Vierzehnten amüsieren. Der hätte bestimmt
auch einen Autokredit aufgenommen, wenn es zu seiner Zeit so etwas
gegeben hätte.
    Dóra kam erst zum Packen,
als Gugga zu vorgerückter Stunde mit einem Taxi nach Hause
gefahren war. Zu diesem Zeitpunkt sah Dóra bereits alles
doppelt, und als sie einschlief, völlig erschöpft von der
Anstrengung, den übervollen Koffer zuzumachen, konnte sie sich
beim besten Willen nicht daran erinnern, was sie hineingestopft
hatte.

3.
Kapitel
    19. März 2008
    Der Kaffee auf dem
Reykjavíker Flughafen war ausgezeichnet, obwohl er einfach
nur Kaffee hieß und nicht in einer blankpolierten,
verchromten Maschine zubereitet wurde, die wie eine Lokomotive
Dampf ausspie, wenn der Kaffee in die Tasse lief. Er kam aus einer
altmodischen Kanne, die auf einer Warmhalteplatte stand und perfekt
zu dem heruntergekommenen Flughafen passte. So etwas konnte man in
der Stadt lange suchen; überall hatten schicke Kaffeeautomaten
Einzug gehalten. Sogar Dóra hatte von ihren Eltern eine zu
Weihnachten bekommen. Noch am selben Abend hatte sie sich reichlich
Kaffee daraus einverleibt, ohne sich darüber klar zu sein,
dass der neue Kaffee viel stärker war als die Plörre, die
sie gewohnt war. Die ganze Nacht hatte sie mit aufgerissenen Augen
wach gelegen, noch nicht einmal in der Lage, zu blinzeln,
geschweige denn, die Augen zuzumachen. Seitdem setzte die
Dampfmaschine Staub an. Jetzt hätte Dóra allerdings
nichts gegen einen doppelten Espresso aus ebenjener Maschine
gehabt. Ihr Kopf war kurz vorm Zerplatzen, eine Überdosis
Koffein hätte bestimmt geholfen.
    »Warum hast du keinen
Rucksack mitgenommen?«, nörgelte Matthias, der neben ihr
im Warteraum saß. »Das habe ich dir doch extra
gesagt.«
    »Ach, ist doch
egal.« Dóra stellte die weiße Kaffeetasse ab.
»Er hat Räder. Vier sogar.« Sie hatte sich
angewöhnt, den Koffer mitzunehmen, den man am besten hinter
sich herziehen konnte, und dieser ähnelte einem gut erzogenen
Hund, der automatisch bei Fuß ging.
    »Toll, dass er vier
Räder hat.« Matthias war noch genauso schlechtgelaunt
wie vor einer halben Stunde, als er sie abgeholt hatte. Dóra
hatte ihren Kater nicht verbergen können, und er war genervt.
Sie fühlte sich so elend, dass ihr das egal war, was ihn noch
mehr nervte. »In Grönland ist tiefster Winter.«
Matthias hatte sich einen nagelneuen Rucksack zugelegt. Jedenfalls
glänzte er so, dass er garantiert erst an diesem Morgen das
erste Mal ins Freie gekommen war. Matthias hatte offenbar noch mehr
Einkäufe getätigt, denn er trug ausnahmsweise einen
Anorak, darunter allerdings eine Hose mit Bügelfalte und ein
ungewöhnlich sportliches Hemd. Immerhin war er so schlau
gewesen, die Krawatte wegzulassen. Dóra war davon
überzeugt, dass er sicherheitshalber eine oder zwei eingepackt
hatte.
    Am Check-in-Schalter hatte einer
ihrer Mitreisenden, der sich als Dr.Finnbogi Kolbeinsson
vorgestellt hatte, einen abschätzigen Blick auf ihren
knallgrünen Hartschalenkoffer geworfen. Er war um die
fünfzig, seiner drahtigen Figur und seinen verschlissenen
Wanderschuhen nach zu urteilen ein echter Outdoorfreak. Auf dem
großen Rucksack, den er so lässig schwenkte, als sei er
leer, waren alle möglichen Aufnäher von fernen
Ländern.
    »Ich versuche gerade, mir
zu merken, wer wer ist.« Dóra ließ ihren Blick
über die Gruppe schweifen, die sich, mit Handys bewaffnet, in
dem kleinen Flughafengebäude verteilt hatte. Sie waren die
einzigen Passagiere. Die Bank hatte

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